Der Spinnenmann
Erst gegen vier war der Brand endlich unter Kontrolle. Inzwischen hatten die Gaffer sich längst verzogen. Ich stand fröstelnd in der Kälte. Das war inzwischen zu einer Buße geworden. Wenn ich nur lange genug aushalte, sagte ich mir, dann wird sich herausstellen, dass die Wohnung leer war, als der Brand ausgebrochen ist.
Um Punkt neun Uhr trafen die Brandexperten der Polizei ein, die Kommissare Thorgersen und Stenerud, zusammen mit Gerichtschemiker Bruff. Sie diskutierten kurz mit Feuerwehrhauptmann Erling Hagen, der die Löscharbeiten geleitet hatte. Dann gingen alle vier durch die Haustür in Fredriksens Haus.
Ich hatte damit gerechnet, dass sie lange im Haus bleiben würden. Meine Überraschung war deshalb groß, als die vier schon nach zehn Minuten wieder herauskamen. Zuerst dachte ich, die Treppe sei eingestürzt oder der Boden der Wohnung oben im Haus zu unsicher, aber dann fiel mir die Haltung der Brandexperten auf. Sie wirkten allesamt erschüttert, einige starrten wie gelähmt vor sich hin, andere kämpften mit den Tränen. Sogar der erfahrene Bruff hatte offenbar den Schock seines Lebens erlitten. Normalerweise trat er auf wie ein britischer Gentleman mit messerscharfem Scheitel in seinen glattgekämmten Haaren und seinem Clark-Gable-Schnurrbart, aber jetzt fiel er aus seiner Rolle, als er sich eine Zigarre anstecken wollte. Seine Hände zitterten dermaßen, dass die Streichhölzer immer wieder erloschen.
Ich lief über die Straße, ohne bemerkt zu werden. Zwei Feuerwehrleute stellten den Experten wild durcheinander Fragen. Hagen winkte nur zur Tür hinüber, sie sollten selbst nachsehen.
Ich schlich mich hinterher, als die beiden Feuerwehrleute ins Treppenhaus liefen. Sie blieben erst im dritten Stock stehen. Die Tür der ausgebrannten Wohnung war aufgebrochen und stand halb offen. Ich konnte nicht verstehen, warum die Männer nicht einfach hineingingen. Ich reckte mich, um dem einen über die Schulter zu schauen.
Hinter der Tür gab es eine kleine Diele mit einer verkohlten Türöffnung. Aber die zu erreichen, war unmöglich. Teilweise von der Wohnungstür verdeckt lag auf dem Boden der Diele ungefähr ein Dutzend verkohlter Menschenkörper, zumeist Erwachsene, aber es waren auch Kinder dabei, verbrannte, ineinander verschlungene Kadaver in den seltsamsten Stellungen, sie lagen in mehreren Schichten aufeinander, mit klaffenden schwarzen Schädelhöhlen und Gliedern aus Asche.
Die Menschen waren in ihrer Panik nur wenige Zentimeter von der Rettung entfernt ums Leben gekommen. Die Katastrophe hätte sich auch ereignet, wenn die Wohnungstür nicht abgeschlossen gewesen wäre. Sie ging nach innen und wäre unmöglich zu öffnen gewesen, wenn die Menschen hinten die anderen vor sich hergepresst hätten.
Kein Wunder, dass die Brandexperten unter Schock standen. Sie hatten sich bestimmt gefragt, warum sie die Tür zur Wohnung nicht öffnen konnten. Als es ihnen endlich gelungen war, hatten sie das gesehen.
Ich wandte mich ab und begann, die Treppe hinunterzugehen. Der Weg kam mir endlos vor. Meine Beine zitterten und ich konnte kaum klar sehen. Ich war sicher, dass ich in Ohnmacht fallen würde, aber plötzlich spürte ich frische Luft in meinem Gesicht. Ich taumelte hinaus und lehnte mich mit dem Rücken gegen die Mauer. Dann sank ich in die Hocke und schlug die Hände vors Gesicht.
So verharrte ich, bis die Brandexperten mich bemerkten.
Interview mit Professor Harbitz
Ich kam auf irgendeine Weise durch den Sonntag. Ich konnte sogar fünf Spalten über den Brand liefern, ehe die Zeitung um zwei Uhr in Druck ging. Danach verbrachte ich etwas mehr als eine Stunde in Riisnaes’ Büro. Ich versuchte mich so nah an die Wahrheit zu halten wie möglich: dass ich am 12. Januar aufgrund eines Tipps von Brodin die Dronningens gate aufgesucht hätte. Ich hätte Rechtsanwalt Fredriksen tot in seinem Büro aufgefunden und weil sein Telefon nicht funktioniert habe aus einem nahe gelegenen Hotel die Polizei informiert.
Riisnaes musterte mich misstrauisch. »Aber dieses Telefongespräch wurde als anonym registriert.«
»Ja«, erwiderte ich. »Ich war so erschüttert von dem, was ich in Fredriksens Büro gesehen hatte, dass ich möglicherweise aufgelegt habe, ohne meinen Namen zu nennen. So kann das gewesen sein.«
Wie ich denn erfahren hätte, dass Fredriksens Räume bewohnt gewesen seien?
Ich erzählte von der Frau mit den Herrenpantoffeln und dem kleinen Mädchen. Ich ließ mir Zeit und gab mir
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