Der Spitzenkandidat - Roman
im Umgang mit dem brisanten Fall verfügen. Ich für meine Person sehe das genauso.“
Vom ersten bis zum letzten Wort hatte Hirschmann dabei den Kollegen Stollmann angeblickt. Der lächelte den verhassten Vorgesetzten an und entgegnete schlawinerhaft: „Ich für meine Person schließe mich vollinhaltlich an.“
In einer grotesken Choreografie wandten sich beide Männer wie auf Kommando Verena zu.
Die ließ einen Versuchsballon steigen: „Es wird doch bestimmt eine Sonderkommission geben.“
„Worauf Sie einen lassen können“, erwiderte Hirschmann in einer für seine Verhältnisse fast frivolen Art. „Leider macht der hohe Krankenstand das nicht leichter. Magen-Darm-Virus, wenn Sie wissen, was ich meine.“
„Schöne Scheiße“, sagte Stollmann mit todernster Miene.
„Ein ausgesprochen schlechtes Timing“, sagte Hirschmann. „Wir wollten doch heute auf der PK unseren Erfolg bei der Zerschlagung des Rauschgifthändlerringes bekannt geben und nun das. Gegen einen Politikermord kommt das natürlich nicht an.“
Verena sah Stollmann an, dass ihm Hirschmanns großspurige Verallgemeinerungen gegen den Strich gingen. Aber niemand konnte sich wundern, dass der Kriminaldirektor von „wir“ sprach, obwohl er selbst zur Aufklärung des Falles nichts beigetragen hatte. Der Erfolg hatte viele Väter, für den Misserfolg eignete sich ein widerspenstiger Ermittler wie Stollmann. Dabei war er einer der fähigsten, es waren seine beruflichen Qualitäten, die ihm den Rücken freihielten, wenn er seine rotzfrechen Bemerkungen anbrachte.
Verena ließ einen zweiten Versuchsballon los und schlug den neuen Leiter des Dezernats für Staatsschutzangelegenheiten vor, einen ehrgeizigen Zeitgenossen. Der Vorschlag fiel ihr leicht, weil sie unterstellte, dass er seine Zuständigkeit sowieso reklamieren würde. Aber Hirschmann stand zu seiner Entscheidung.
Verena griff zur Tasche, ihrer treuen und abgewetzten Begleiterin, die mehr Gewaltopfer gesehen hatte als die meisten Bürger dieser Stadt.
„Ich fahre zum Tatort. Kommst du mit, Stolli? Die Spurensicherung ist vor Ort?“
Hirschmann war sichtlich zufrieden, dass die Ermittlungen endlich beginnen würden. „Inga Schulz und ihre Leute müssten eingetroffen sein. Mit Absperrungen, Spurenzelt und allem Pipapo.“
Hirschmann ließ es sich nicht nehmen, seine Beamten mit Informationen zum Teufelsbad zu versorgen. Er besaß eine fatale Leidenschaft, Ortsbezeichnungen und topografische Orte bis zum jüngsten Tag herzuleiten. Niemand im Präsidium teilte diese Leidenschaft, aber Hirschmann bekleidete einen zu hohen Rang, um den Mann einfach stehen zu lassen, wenn es ihn wieder einmal überkam. Er konnte dann sehr genau werden, peinigend genau.
Auch deshalb beeilte sich Verena. Sie hatte den Autoschlüssel schon in der Hand, Stollmann hielt die Tür auf, als Hirschmann sagte: „Einen Moment noch, Kollegin. Es wäre hilfreich, wenn Sie vor der PK um elf zurück sind. Sie sollten daran teilnehmen. Der Innenminister möchte fortlaufend unterrichtet werden, sagte ich das schon? Als designierter Ministerpräsident wäre Stein künftig sein Chef gewesen.“
„Das mit dem künftigen Chef sehe ich anders“, warf Stollmann ein. „Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ein intelligenter Mann wie Stein diese Flachnase von Innenminister behalten hätte.“
„Also bitte, Herr Stollmann“, meinte Hirschmann entsetzt. „Das mit der Flachnase will ich nicht gehört haben.“ Er blickte sich um, ob es nicht vielleicht jemand anders auch gehört hatte.
„Was ist nun, Stolli?“, fragte Verena ungeduldig. Sie konnte Stollmanns Aversion gegen den Innenminister nicht nachvollziehen. Zugegeben, er war ruppig und die Rolle, die er bei den Staatskanzleimorden gespielt hatte, war keine vertrauensbildende Maßnahme in Richtung Politik gewesen, aber er verstand etwas von seinem Metier, was man nicht von allen Ministern dieser Regierung sagen konnte. Stollmann folgte ihr.
„Bin schon fertig, ich brauche dringend frische Luft.“ Zurück blieb ein irritierter Vorgesetzter.
11
Kaum vorstellbar, dass dieses Gesicht tot sein soll, dachte Verena Hauser, als sie eine weitere Plakatwand passierten. Die Partei hatte auf Stein und Sieg gesetzt, die Stadt war zugepflastert mit dem auch für ihre eher kritische Einstellung zu Politikern durchaus sympathischen Gesicht des Spitzenkandidaten.
„Wer erschlägt einen Politiker wie Uwe Stein?“, fragte Stollmann. „Es gibt so viele blasse und
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