Der Spitzenkandidat - Roman
Polizei gehen.“
10
Die Tür wurde erneut aufgerissen, Hirschmann stürmte herein. Kriminaldirektor Hirschmann, seit Kurzem Leiter der Abteilung für Einsatz- und Ermittlungsunterstützung und unmittelbarer Vorgesetzter von Verena Hauser. Er lief auf Stollmann auf, die Männer starrten sich an. Ihre gegenseitige Abneigung stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Stollmann hatte seinerzeit bei der Bewerbung um die Abteilungsleitung den Kürzeren gezogen, seitdem beschränkte sich ihr Kontakt auf das Notwendige.
„Moin, Moin, Frau Hauser. Wir haben einen Mordfall.“
Hirschmanns gerötetes Gesicht verriet, dass es mehr sein musste als ein 08/15-Fall.
„Der Präsident der Polizeidirektion hat mich vor fünf Minuten angerufen, die möchten den Fall an uns abgeben. Ist denen zu brisant. Kein Wunder bei dem Opfer.“
Stollmann wusste, dass er den anderen mit demonstrativem Desinteresse ärgern könnte. Doch seine Neugier ließ das nicht zu.
„Ein Mordfall“, sagte er gedehnt. „Und es gibt ein Opfer. Ja, was sagt man denn dazu?“
Hirschmann war noch nie in der Lage gewesen, auf Stollmanns Flapsigkeiten angemessen zu reagieren. Humor war ihm fremd. Es war schon ungewöhnlich, dass er auf eine bissige Bemerkung verzichtete, bevor er mit der Neuigkeit herausplatzte:
„Uwe Stein.“
„Der Uwe Stein?“
„Der Spitzenkandidat der Bürgerpartei.“
„Ja, das ist allerdings …“ Stollmann wandte sich zu Verena. „Das ist doch allerdings …“
„Kein Zweifel möglich?“, fragte Verena.
Hirschmanns Gesicht gab die Antwort. Uwe Stein war ermordet worden. Der Politiker, über den so viel berichtet wurde wie über keinen Zweiten aus der Region. Der Mann, den alle Experten und viele Wähler für den künftigen Ministerpräsidenten hielten und dem eine großartige Zukunft auch in der Bundespolitik vorausgesagt wurde.
„Was meinen Sie, wie das im Innenministerium eingeschlagen hat! Der Polizeipräsident und unser Chef sitzen gerade beim Innenminister.“
So aufrichtig Hirschmanns Betroffenheit wirkte, so sicher war es, dass der Stratege schon dabei war, die Konsequenzen für seine Leute abzuschätzen. Mordfälle waren Routine; wenn ein Prominenter zum Opfer wurde, kamen die Medien ins Spiel; wenn ein Politiker getötet wurde, kam alles zusammen: Sensation und die Nähe zur Nahtstelle aus Politik und öffentlichen Ämtern. Denn ab einem bestimmten Niveau waren berufliche Karrieren ohne Gönner im Ministerium nur schwer vorstellbar. Ein toter Politiker – das war das Gegenteil von Routine.
Für Verena Hauser stand fest, dass ihr der Fall übertragen werden würde, sonst wäre Hirschmanns Anwesenheit sinnlos. Der Mann war viel zu sehr Profi, um aus reiner Sensationsgier ins Büro von Mitarbeitern zu platzen.
Verena fürchtete sich nicht vor schwierigen Fällen. Ermittlungen im politischen Milieu waren jedoch heikel. Die Staatskanzleimorde waren ihr in unguter Erinnerung, der permanente Druck, den Politiker und Medien auf sie ausgeübt hatten, auch. Und ständig war Rücksicht zu nehmen: auf Empfindlichkeiten, Animositäten und schwer durchschaubare politische Interessen. Auch auf die Abgründe, die sich ihr bei der Aufklärung der Staatskanzleimorde aufgetan hatten, hätte sie liebend gerne verzichtet: die vertuschte Korruptionsaffäre um den Spitzenbeamten Heise, der angebliche Selbstmord Mahows, der vermutlich ein Auftragsmord war, die Mauer des Schweigens, an der sie sich die Zähne ausgebissen hatte. Nie wieder ein Mord im politischen Umfeld, hatte sie sich damals gewünscht. Dann fiel ihr ein, dass sie umgekehrt ihren Part des Abkommens mit Gott auch nicht erfüllt hatte. Sie hatte damals in der Weihnachtsmesse versprochen, mindestens einmal im Monat die Heilige Sonntagsmesse zu besuchen. Seit Februar war sie nicht mehr in der Kirche gewesen. Es geschieht dir recht, dachte sie.
„Wann ist es denn passiert und wo ist es passiert?“, fragte sie.
Eine junge Frau, die morgens um sieben in der Eilenriede ihren Hund ausführte; ein Hund, der zwischen Teufelsbad und Heiligers Brunnen plötzlich eifrig wurde; ein Frauchen, das sich beim Anblick der Leiche übergeben musste und von den ersten Polizisten am Fundort dafür gelobt werden wollte, dass sie so scharfsinnig gewesen sei, sich ins Gebüsch zu erbrechen und nicht neben die männliche Leiche.
„Direktor Ritter möchte, dass Sie den Fall übernehmen, Frau Hauser. Sie hätten Erfahrungen im politischen Umfeld und würden über die nötige Sensibilität
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