Der Spitzenkandidat - Roman
servieren. Hier haben Sie uns, ganz ohne Gegenwehr. 1000 Arbeitsplätze zur Vernichtung freigegeben, angeblich als Waffe gegen die gelbe Gefahr, in Wahrheit geopfert auf dem Altar höherer Dividendenzahlungen und Renditen. Jubel bei den Aktionären, Frust und Angst bei den Kollegen. Sein Vertreter wäre nicht fähig, eine Kampagne, wie sie jetzt nötig war, durchzuziehen. Hübner schätzte seinen Vertreter wegen seines Pflichtbewusstseins und seiner Zuverlässigkeit. Aber ein Kämpfer war der nicht, eher zögerlich und übermäßig vorsichtig. Der Deutschen Antriebstechnik und ihrem raffgierigen Hauptgesellschafter konnte gar nichts Besseres widerfahren als Hübners Krankenhausaufenthalt.
Er war schon dabei, die Ermahnungen des Arztes zu relativieren. Panikmache war das tägliche Brot der Mediziner. Auf einige Wochen würde es nicht ankommen. Immerhin hatte er den Druck in der Brust ausgehalten, wenn auch nicht ohne Besorgnis und nächtliche Wanderungen, weil er im Bett zu ersticken glaubte. Aber er wollte ja keine Expedition in die Sahara antreten. Er blieb im Lande, in Reichweite der Medizinischen Hochschule, dieser ersten Adresse für alle Gebrechen von Herz und Kreislauf. Solange die Pumpe noch Geräusche machte, gaben die Ärzte niemanden verloren.
Hübner stieg aus dem Auto, das war auch schon fließender vonstattengegangen. So war es immer, wenn man es eilig hatte. Überflüssige Warterei vor Ampeln mit ewig langen Rotphasen und rasend kurzen Grünphasen. Das Wetter war pures Gift für ihn. Als würde ihm jemand nasse Handtücher ins Gesicht schlagen. Endlich erreichte er die Tawes AG. Der ältliche Pförtner, mürrisch humorlos, stürzte auf ihn zu:
„Tach, Herr Hübner, ist das nicht ein Hammer mit Stein?“
„Sie meinen die Verkaufsabsichten? Ja, ja, böse Sache. Aber noch haben wir vom Betriebsrat unser Pulver nicht verschossen.“
Der Pförtner, dessen Name Hübner plötzlich nicht einfallen wollte, prallte zurück: „Der Mann ist tot, daran können auch Sie vom Betriebsrat nichts ändern.“
Der Druck auf Hübners Brust nahm zu, etwas schraubte sich zu und strahlte bis in die Schultern aus. Kalter Schweiß brach aus, er spürte ihn zwischen den Schulterblättern und auf der Brust. Verdammtes Belastungs-EKG. Tut gar nicht weh, hatte die junge Arzthelferin geflunkert. Sie hatte verschwiegen, dass die Prozedur dich für den Rest des Tages unbrauchbar macht.
Stein tot? Das konnte nicht sein, er hatte dem Politiker alles erdenklich Schlechte gewünscht, einen längeren Krankenhausaufenthalt ja, aber nicht das Grab, das nicht. Das hatte er nicht gewollt.
Er spürte den prüfenden Blick des Pförtners. „Was haben Sie eben gesagt? Stein ist tot?“
„Haben Sie denn nicht Radio gehört? Seit Stunden wird pausenlos darüber berichtet. Stein ist tot. Er wurde letzte Nacht erschlagen, in der Eilenriede. Den Täter haben sie noch nicht.“
Hübner setzte sein Pokergesicht auf. Jetzt bloß nichts anmerken lassen, cool bleiben. „Tatsächlich? Sieh mal an. Ich habe nichts davon gehört. Ich war den ganzen Vormittag beim Arzt. Gehen Sie bloß nie bei diesem Wetter zum Arzt.“
„Dann wussten Sie es noch nicht?“
„Bei meinem Arzt läuft kein Radio.“
„Ach so, na denn. Es gab mehrere Anrufe für Sie. Das Wirtschaftsblatt und eine Bianca Fröhlich von der Allgemeinen Niedersachsenzeitung. Ich habe alle in Ihr Vorzimmer weitergeleitet, wie sich das gehört. Dann war da noch ein Herr vom Fernsehen Niedersachsen, ich habe den Namen vergessen.“
„Nicht tragisch“, brummelte Hübner, bevor er sich in Richtung Fahrstuhl davonmachte.
18
Heiß war es schon seit dem Vormittag, nachmittags kam eine unerträgliche Schwüle dazu. Die Luftfeuchtigkeit stieg und stieg. 34 Grad und 80 Prozent Luftfeuchtigkeit nahmen den Menschen die Luft zum Atmen, jeder sehnte das reinigende Gewitter herbei. Die Ermittlungen des LKA liefen auf Hochtouren, die Soko Stein tagte zum ersten Mal.
Der Besprechungsraum in der vierten Etage war eine Folterkammer. Eine Klimaanlage war nicht vorhanden, die Rollos waren seit Mai kaputt und ließen sich nicht mehr betätigen, ungeschützt brannte die Sonne in den Raum, der Kunststoff von Tischen und Stühlen heizte sich auf. Es gab kein Entkommen.
Verena Hauser war sauer, vor mehreren Wochen hatte sie den Schaden beim Hausmeister gemeldet. Aber so umtriebig sich der Mann gab, bis heute war nichts passiert. Seit über einer Stunde brutzelten die Beamten vor sich hin. Der Dresscode
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