Der Stalker
ein sehr ernsthafter Mensch war, auch wenn sie sie nicht gerade in bester Verfassung erlebte. »Ich … ja.«
»Sie hat es Ihnen erzählt?«
»Es hat sich herumgesprochen. Es gab Gerede unter den Kollegen, also habe ich sie irgendwann darauf angesprochen. Und sie war ganz ehrlich zu mir. Sie hat mir gesagt, es gehe um einen Vorfall aus ihrer Studienzeit. Der aber lange her sei.« Sie seufzte, und Anni fürchtete, dass ihr jeden Moment wieder die Tränen kommen würden.
»Entschuldigen Sie«, sagte Mills, als hätte sie Annis Gedanken gelesen. »Das hier ist eine kleine Abteilung. Wir müssen alle gut miteinander auskommen, wenn wir effektiv zusammenarbeiten wollen. Das ist eines der Kriterien, nach denen ich meine Mitarbeiter auswähle. Mir ist es wichtig, ein familiäres Arbeitsklima zu haben. Die beiden jungen Frauen passten sehr gut hier rein.« Ihre Unterlippe bebte, und sie biss darauf. »Ich nehme persönlich Anteil am Wohlbefinden meiner Mitarbeiter.« Sie schniefte und betupfte sich die Nase. »Entschuldigen Sie«, flüsterte sie erneut.
»Das heißt, diese Sache mit dem Stalker hatte sich bereits erledigt, als sie bei Ihnen anfing«, fuhr Anni fort, um Hazel Mills abzulenken und ihr keine weitere Gelegenheit zum Weinen zu geben.
Hazel Mills nickte. »So lange ist sie ja auch noch gar nicht hier. Sie hat kurz vor Weihnachten angefangen, direkt nach ihrem Abschluss.«
»Ja, ich weiß. Und sie hatte keine Probleme hier?«
Hazel Mills schüttelte den Kopf.
»Hat sie irgendwann mal den Namen Anthony Howe erwähnt?«
Hazel Mills zog die Brauen zusammen. »Der sagt mir auf Anhieb nichts …« Sie tupfte sich die Tränen weg. »Das ist alles so schrecklich. Vor allem so kurz nach der Sache mit dieser armen Ergotherapeutin. Als wären wir hier verflucht …«
Annis Herz machte einen Satz. »Ergotherapeutin?«
Hazel Mills nickte. »Julie.«
»Julie Miller?«
Hazel Mills’ Augen wurden groß. »Sie kennen sie? Sie wissen, was mit ihr passiert ist?«
»Ich denke, wir sollten uns auf jeden Fall noch weiter unterhalten.«
39 Rose Martin stand zum zweiten Mal vor dem Haus in der Greenstead Road. Sie klopfte an und wartete.
Am Abend zuvor war sie nicht voll da gewesen – eine Tatsache, auf die sie ganz bestimmt nicht stolz war. Denn wenn sie voll da gewesen wäre, dann hätte sie auf ihr Bauchgefühl gehört. Das hatte sich erst abends im Bett bemerkbar gemacht. Fast die ganze Nacht über hatte sie die Ereignisse des vergangenen Tages in ihrem Kopf durchgespielt – manche öfter als andere. Mark Turner zum Beispiel. Je mehr sie über ihn nachgedacht hatte, desto deutlicher war geworden, dass irgendetwas mit ihm nicht gestimmt hatte. Sie konnte es nicht definieren oder erklären, aber irgendetwas war da gewesen. Und es hätte ihr auffallen müssen.
Aber was nützte es, sich deswegen Vorwürfe zu machen? Sie würde die Sache abhaken – wie den gesamten gestrigen Tag – und diesmal alles richtig machen.
Sie klopfte erneut. Wenigstens schwieg diesmal die Sirene am Bahnübergang.
Sie hörte Phils Stimme in ihrem Kopf: Julie Miller war Ihr Fall, und das ist er immer noch. Ich möchte, dass Sie noch mal ihren Hintergrund durchleuchten …
Noch mal. Alles klar.
Auffälligkeiten … alles könnte wichtig sein . Sie wusste genau, wie das gemeint war. Er wollte bloß feststellen, ob sie noch einen Fehler gemacht, noch etwas Wichtiges übersehen hatte. Damit er einen Grund hatte, auf ihr herumzuhacken. Sie zu schikanieren. Die Gelegenheit würde sie ihm nicht geben.
Sie klopfte ein drittes Mal, deutlich lauter und ungehaltener.
Immer noch nichts.
Und keine Alleingänge.
Was auch immer. Ben würde sich hinter sie stellen. Er war der DCI . Sein Wort zählte.
Sie wartete. Im Haus regte sich nichts.
Missmutig drehte sie sich um und stapfte davon.
Genau in dem Moment, als die Sirene am Bahnübergang losging.
»Erzählen Sie mir von Julie Miller, Ms Mills.«
»Sie hat hier gearbeitet.«
»In Ihrem Team?«
»Nein. Aber im selben Flügel. Wir haben hier im Therapiemanagement eine ganz bestimmte Struktur. Verschiedene Abteilungen arbeiten unter einer Leitung. Die ET s und die LP s gehören organisatorisch gesehen zusammen. Genau wie die Ernährungstherapeuten, die Neurotherapeuten und die Gesundheitspsychologen –«
»Entschuldigen Sie – ET s? LP s?«
Das Gespenst eines Lächelns huschte über Hazel Mills’ Gesicht. »Die Ergotherapeuten und Logopäden. Jede Berufsgruppe hat wohl ihren
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