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Der Stalker

Der Stalker

Titel: Der Stalker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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dass sie im Moment nicht mehr aus ihm herausbekommen würde. Sie klappte ihr Notizbuch zu und stand auf.
    »Das wäre dann alles für den Moment, Mark. Aber bleiben Sie in der Stadt, damit wir Sie jederzeit finden können. Wir werden bestimmt noch mal auf Sie zurückkommen.«
    Mit diesen Worten ließ sie ihn dort sitzen und war zufrieden, dass es ihr gelungen war, ihn aus der Fassung zu bringen.
    Aber ihr Hochgefühl hielt nicht lange an. Schließlich musste sie es noch mit dem Lift aufnehmen.
    43 Phil stand vor der Tür, die Hand zum Klopfen erhoben. Er zögerte.
    Es war eine von Reihenhäusern gesäumte Straße in New Town. Die Haustüren gingen direkt auf den Gehweg, Vorgärten gab es keine. Passanten konnten in die Fenster schauen und das Leben der Hausbewohner verfolgen wie im Fernsehen.
    Colchester hatte keine Wohnsilos oder Ghettos. Stattdessen hatte es New Town. Unzählige gewundene Straßen und Gassen mit alten Backsteinhäusern, an denen, trotz des Stadtteilnamens, nichts neu war. Drogenhandel, Prostitution, Gangs – all das gedieh in New Town nicht nur besonders gut, sondern wurde größtenteils von hier gelenkt. Phil war nicht naiv, er wusste, dass nicht jeder, der in New Town wohnte, ein Verbrecher war. Aber es war ein armes Viertel, und Armut, das sagten ihm sowohl die Statistiken als auch seine eigene Erfahrung, war der ideale Nährboden für Kriminalität jeder Art. Armut führte zu Neid, Neid zu Frust, und Frust zu Verzweiflung. Und Verzweiflung schließlich zu Verbrechen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite neben dem Aldi-Markt stand das Ergebnis eines gescheiterten Versuchs, die Wohngegend zu gentrifizieren. Der nagelneue, exklusive – nicht zu vergessen: eingezäunte – Apartmentkomplex hatte eine wohlhabende Klientel anziehen und die Gegend aufwerten sollen. Die Anwohner hatten auf ihre eigene Art reagiert, und jetzt gab es dort die höchsten Einbruchs-, Diebstahls- und Vandalismusraten der gesamten Stadt.
    Neid zu Frust zu Verzweiflung.
    Zu Verbrechen.
    Er sah die Straße hinab. Die meisten Häuser waren gut gepflegt, alte Fensterrahmen und Türen aus Holz waren durch neue aus PVC ersetzt worden. Doch es gab auch Häuser, an denen seit Jahrzehnten nichts gemacht worden war und deren vernachlässigtes Äußeres den Verfall andeutete, der sich zweifellos in ihrem Innern fortsetzte.
    Phil stand vor einer der neuen PVC -Türen.
    »Das hier ist es?«, fragte Fiona Welch.
    Eigentlich hatte Phil allein gehen wollen, aber sie hatte darauf bestanden, ihn zu begleiten. Sie würde mucksmäuschenstill dasitzen, hatte sie beteuert. Nur zuhören und beobachten, sonst nichts. Das würde ihr bei der Erstellung des Profils helfen, hatte sie noch mit einem auffordernden Lächeln und blitzenden Augen hinzugefügt. Also hatte Phil nachgegeben – nicht weil er sie dabeihaben wollte, sondern weil er dachte, dass sie bei ihrem Profil wirklich jede Hilfe brauchen konnte.
    »Ja«, sagte er.
    »Ich wette, Sie hatten schon öfter hier in der Gegend zu tun.«
    »Das trifft auf die meisten Polizisten in Colchester zu.«
    »Überrascht mich nicht«, meinte sie und lachte kurz. »Nichts als Crackhöhlen und Bordelle.«
    »Das ist nicht wahr«, gab er unwirsch zurück. Ihre Touristen-Attitüde ärgerte ihn. »Viele Wohnungen sind vermietet. An Studenten, Migranten oder ältere Leute. Manche der Bewohner sind schlicht zu alt, um ihre Häuser richtig instand zu halten.«
    »Sollen sie doch ins Heim gehen. Dann sind sie weg von der Straße.« Ihre Stimme war urplötzlich kalt geworden.
    Phil sah sie mit gerunzelter Stirn an, woraufhin sie ihm ein strahlendes Lächeln schenkte. »Ist ja auch egal«, meinte sie, und schon war ihr Tonfall wieder der alte. »Ich weiß selbst, wie es hier ist, ich habe in meinem zweiten Jahr an der Uni ganz in der Nähe in einer WG gewohnt.« Sie zeigte die Straße hinunter. »Bloß zwei Straßen weiter.«
    Phil konnte nicht widerstehen. »In einer Crackhöhle oder in einem Bordell?«
    Sie sah ihm in die Augen, und auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab, das unter Bibliothekaren vermutlich als verführerisch gegolten hätte. »Das wüssten Sie wohl gern.«
    Er wandte sich ab und klopfte.
    Während sie warteten, blickte er sich um. Alles war wie immer: Wo er auftauchte, sahen die Leute in die andere Richtung oder interessierten sich plötzlich für den Gehweg. Sie wussten vielleicht nicht, wer er war, aber sie erkannten sofort, was er war. So war das in Vierteln wie

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