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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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und einem grünen Streifen.
    Plötzlich sah ich in der Ferne das grüne Aufblitzen von Flügeln. Die Haie kamen.
    Ich spürte, wie jemand über meine rechte Schulter blickte. Ich drehte mich um.
    Und starrte direkt in ein Augenpaar, dunkle Augen, fast wie die meinen, Augen, die von den Kunststofflinsen einer Staubmaske eingerahmt wurden, die mit einer weißen und einer grünen Zielscheibe geschmückt war. Der Mann, Murphig, hatte genau meine Größe. Der ganze Kontakt dauerte nur eine Sekunde. Dann wandten wir uns beide unbehaglich ab, um das Herankommen der Haie zu beobachten. Sie näherten sich schnell. Ich erschauerte. Ich war mir nicht sicher, warum; die Haie waren es nicht.
    Überraschenderweise zeigten die Haie und ihre geflügelten Freunde keine Neigung, die Besatzung anzugreifen. Statt dessen machten sie sich gemächlich über die dahintreibenden, staubüberzogenen Eingeweide her, die wir über Bord geworfen hatten. Mit einem Scharfsinn, der schon nicht mehr tierhaft war, wußten sie, daß der Wal bereits verarbeitet worden war. Ein Angriff konnte nichts einbringen. Und sie blieben außer Reichweite unserer Walfangspaten.
    Ich kehrte in meine Küche zurück und begann damit, mein Gebräu durch eine provisorische, aber funktionierende Destillieranlage laufen zu lassen, die ich aus einigen losen Kupferrohren zusammengeflickt hatte. Beim Mittagessen machte ich Dalusa plausibel, daß es sich um eine Destillieranlage handelte und daß ich vorhatte, Weinbrand herzustellen. Sie verlor sofort ihr Interesse; Alkohol übte auf sie keine Anziehungskraft aus.
    Vor dem Abendessen hatte ich etwa fünfundzwanzig Gramm einer wäßrigen schwarzen Flüssigkeit gewonnen. Das Schwarzmarkt-Flackern, das ich aus reinem nullaquanischen Eingeweideöl raffiniert hatte, war fast durchsichtig gewesen. Ich fragte mich, ob ich versuchen sollte, dieses neue Gebräu zu filtern.
    Das Abendessen verlief ereignislos. Ich stapelte die unzerbrechlichen Geschirrstücke in einem großen, grob gewebten Sack und trug sie in die Küche. Dort traf ich Dalusa. Auf der Truhe vor ihr lag ausgebreitet eine große nullaquanische Seemöwe, tot. Blaßpurpurne Flüssigkeit rann aus drei Löchern in ihrer Brust. Dalusa starrte in versunkener Faszination auf den toten Vogel. Ihre eigenen Flügel waren zusammengefaltet, ihre Hände vor der Brust verschränkt.
    Mit lauten Schritten kam ich die Treppe hinunter, aber sie zeigte kein Anzeichen, daß sie meine Gegenwart wahrnahm. Ich schaute auf den Vogel. Er hatte eine Flügelspannweite von etwa einem Meter zwanzig; seine gelben Augen, glasig und tot, waren von den Lidern halb bedeckt, die sich vom Unterrand des Auges nach oben bewegten. Der Schnabel war mit winzigen, konischen Zähnen gesäumt.
    Die Füße waren völlig fremdartig; lange schwarze, gewebeähnliche Netze, am Fußansatz mit knöchernen Knötchen verstärkt. Ganz offensichtlich fischte er, indem er über den trüben Staub flog und aufs Geratewohl mit seinen Netzen einfing, was sich unter der Oberfläche befand.
    Ich schaute über Dalusas Schulter. Sie blickte nicht auf, sondern starrte weiter auf den Vogel. Ein dicker Tropfen lavendelfarbenen Bluts rann langsam über eine seiner Brustfedern und tropfte auf die Truhe. Im Gesicht des Ausguckpostens stand keine Reue, nur Versunkenheit, verquickt mit einem Gefühl, für das ich keinen Namen fand. Vielleicht war kein Mensch dazu in der Lage.
    »Dalusa«, sagte ich sanft.
    Sie sprang in die Höhe und breitete ihre Schwingen ein wenig aus; der angeborene Reflex jeder fliegenden Kreatur. Ihre Füße verursachten Klicklaute, als sie das Deck wieder berührten. Ich blickte hinab. An jedem Fuß trug sie Sandalengeflecht aus Walhaut. Bänder legten sich quer über den Rist und wanden sich die Waden hinauf. Vom Ansatz der Zehen krümmten sich an jedem Fuß drei rostfreie Stahlhaken nach oben, fünfzehn Zentimeter lang und mit Metallzacken versehen.
    Künstliche Klauen.
    »Du bist auf der Jagd gewesen«, stellte ich fest.
    »Ja.«
    »Und hast diesen Vogel gefangen?«
    »Ja.«
    »Wirst du ihn essen?«
    »Ihn essen?« wiederholte sie ausdruckslos. Verwirrt blickte sie mich an. Sie war verehrungswürdig. Ich spürte einen plötzlichen starken Drang, sie zu küssen.
    Ich fand meine Fassung wieder. »Du trägst Klauen«, sagte ich.
    »Ja!« sagte sie, beinahe trotzig. »Wir hatten alle welche, in den alten Zeiten.« Schweigen. »Hast du gewußt, habe ich dir erzählt, daß ich dabei war, als eure Leute meine zum ersten

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