Der Staubozean
verbeißt er sich darin?«
Dalusa bewegte sich, und ohne es zu sehen, konnte ich spüren, daß sich ihr Gesicht wenige Zentimeter über dem meinen befand. Ihr warmer Atem, der schwach nach fremdartigen Gewürzen roch, berührte meine Nase und meinen Mund. »Ist dir je der Gedanke gekommen, daß Kapitän Desperandum geisteskrank ist?«
Ein übermächtiges Gefühl des Deja-vu machte sich in mir breit. »Sag nur nicht, er sei davon besessen«, sagte ich flüsternd.
»Aber es ist so«, sagte Dalusa freundlich. »Du weißt doch, daß in sehr alten Menschen der Drang zu sterben allmählich immer stärker wird. Der Tod kommt auf Wegen, die niemand versteht. Aber ich glaube, man sagt, man kann leben, wenn man einen Sinn sieht, ein Ziel, etwas, das einem soviel bedeutet, daß jede Körperzelle davon weiß und seinetwegen am Leben bleibt.«
Geistesabwesend versuchte ich, sie zu umarmen, wobei ich die Decke zwischen uns behielt. Aber ich hatte vergessen, daß sich ihre Flügel seitlich an ihrem Rumpf befanden, von den Schultern bis zur Taille hinab. Ich richtete es so ein, daß meine Hände auf ihrem Gesäß lagen.
Unbeirrt fuhr Dalusa fort. »Genau das will Desperandum. Er will leben, immer weiterleben. Aber das Bewußtsein ist trickreich. Wenn man gegen sich selbst Krieg führt, kann man nur verlieren.«
»Ich habe volles Vertrauen zum Kapitän«, sagte ich. Ich war sicher, daß er einen Weg finden würde, sich selbst umzubringen.
Langsam hob ich meine Knie, und Dalusa schmiegte sich an meine Leistengegend. Sie legte ihr spitzes Kinn auf meine Brust. »Ich liebe dich«, sagte sie.
»Ich liebe dich auch.« Es war noch immer die Wahrheit.
Einige Sekunden schwiegen wir. »Ich kann hören, wie sich dein Blut bewegt«, flüsterte Dalusa.
Es folgten einige Minuten äußerster Frustration. Danach fühlte ich, daß ich den Höhepunkt eines neuen Gefühls erreicht hatte, eines Gefühls, das mir bisher unbekannt war. Es war ein grotesker Zwitter aus Begierde und Zorn, der seinen Gipfelpunkt im Schmerz fand. Dalusas plötzliches wimmerndes Aufkeuchen, als ich ihren Ellbogen in einen schraubstockgleichen Griff nahm, war Musik in meinen Ohren.
Schließlich traf mich die Erkenntnis meines Sadismus schlagartig, und ich ließ ihren Arm los.
Ganz nahe bei meinem Ohr sog Dalusa röchelnd den Atem ein. Ich knirschte mit den Zähnen. »Es war unbefriedigend, kein Höhepunkt …«
Meine klagenden Worte wurden plötzlich unterbrochen, als Dalusa mich in den Magen schlug. Ihre geballte Faust trug die Kraft ihrer Schultern und Brustmuskeln; sie traf so hart, daß ein leuchtendroter Blitz vor meinen Augen auftauchte und die Luft aus meinen Lungen entwich.
»Besser?« fragte Dalusa freundlich.
Ich ballte die Faust, um ihr die Zähne einzuschlagen, aber plötzlich merkte ich, daß es tatsächlich besser war. Das war mein erster Einblick in die Freuden des Schmerzes.
»Du hast mir weh getan«, sagte ich.
»Das tut mir leid«, erwiderte sie zerknirscht. »Du hast damit angefangen; ich dachte, das sei es, was du willst. Sei bitte nicht böse.« Ich merkte an ihrer verkrampften Haltung, wie elend sie sich fühlte.
»Ich bin nicht wie du«, sagte ich nach langem Schweigen. »Du kannst nicht erwarten, daß ich Schmerzen wie du erleide. Ich kann nicht für dich bluten, Dalusa. Ich kann nicht - und ich will nicht. Wenn du dir das nicht klarmachst, sollten wir die ganze Geschichte vergessen.«
»Wir werden sehen, wie es sein wird«, flüsterte sie, und ihr dichtes Haar fiel sanft über mein Gesicht.
10
Fliegende Fische
IN DEN NÄCHSTEN T AGEN WAR ICH MEIST mit Kochen beschäftigt. Ich verbrauchte viel Zeit damit, nullaquanische Geschmacksrichtungen zu untersuchen, denn ich hatte vor, meine Freunde mit seltenen Delikatessen nach Nullaqua-Art zu überraschen, wenn ich nach Reverie zurückkehrte. Leider kippte Dalusa das Meerrettichgewürz in eines meiner Eintopfgerichte, als sie die Küche putzte und dabei gegen den Behälter stieß. Eine einzige Kostprobe aus dieser Schüssel ließ meinen Mund sich für zwei Stunden zusammenziehen. Fast hätte ich das Gericht fortgeschüttet, servierte es dann aber doch noch in letzter Minute. Die Crew aß mit der gewohnten Stumpfheit und Aufmerksamkeit. Wären auf Nullaqua Bäume gewachsen, hätten sie die Rinde gegessen und sie für gut befunden.
In diesem Teil des Staubmeeres gab es nicht viel Wind. Der Äquator befand sich auf der Grenze der beiden Konvektionszellen, die das Klima des Kraters
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