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Der Staubozean

Titel: Der Staubozean Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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übriggeblieben sind.«
    Ich blickte über Desperandums Schulter zum Heckfenster hinaus. Hinter uns, ihre Silhouette von dem aus dem Krater hereinströmenden Licht scharf umrissen, kam Dalusa. Sie wirkte erschöpft; ihre Flügel bewegten sich langsam und mühevoll, als sei sie die ganze Nacht geflogen.
    »Nur zwei Kapitän? Unwahrscheinlich. Ein befruchtetes Ei in unseren Netzen bedeutet, daß mindestens zwei erwachsene Tiere leben. Oder sind sie Hermaphroditen?«
    »Nein. Aber ein eindeutiger Beweis, ein weiteres Exemplar oder authentische Augenzeugenberichte … nun, so etwas fehlt. Wir können nicht völlig sicher sein.«
    Ich wies zum Fenster. »Der Ausguckposten kommt zurück.«
    Desperandum blickte nach draußen. »Das ist gut. Ich werde die Heuer für die Zeit, die sie gefehlt hat, einbehalten.«
    Ein juckender Fleck auf seiner Hand lenkte ihn ab. Sanft fuhr er mit einem stumpfen Finger über den entzündeten Handknöchel.
    Inzwischen waren wir auf halbem Weg durch die Meerenge, und für ihre Verhältnisse bewegte sich die Lunglance mit enormer Geschwindigkeit. Hinter uns packte eine kräftige Bö Dalusa, und sie schwebte nach unten.
    Ein Wald gezackter Tentakel sprang nach oben und wirbelte Staub auf, der vom Winde verweht wurde. Dalusa schlug verzweifelt mit den Flügeln; riesige Dornen fuhren an der Stelle durch die Luft, die sie gerade verlassen hatte. Als sie an Höhe gewann, versanken die Anemonen - mindestens ein Dutzend - enttäuscht im Staub.
    Desperandum kratzte noch immer an seinem Knöchel herum.
    »Käpt'n, haben Sie das gesehen?« fragte ich.
    »Was gesehen?« erwiderte Desperandum.

13
    Ein Gespräch mit einem jungen
    nullaquanischen Seemann
     
    D IE K RANKHEIT VERSCHWAND fast unmittelbar, nachdem wir die Glimmerbucht verlassen hatten. Wir strichen Ausdauer ganz von der Reiseroute. In der dritten Woche unseres fünften Monats auf See entdeckten wir eine Walherde und schlachteten den ganzen Tag. Jeder an Bord mußte sich an der mühseligen Arbeit beteiligen. Selbst Desperandum schwang seine gewaltige Axt zusammen mit der übrigen Crew. Die Männer trugen Klampen an den Schuhen, wenn sie die Haken anbrachten; ein einziger Fehltritt hätte sie in die reißenden Kiefer der Haie geschickt, und nicht einmal Desperandums rächende Lanze hätte sie in einem solchen Fall retten können.
    Wie schnell wir unsere Opfer auch an Deck zogen, ihre Bäuche waren jedesmal von den Raubtieren zerfetzt. Einige unserer Männer wurden von Lotsenfischen ernstlich verletzt; einer verlor einen Finger. Wir hackten, metzelten und hievten den ganzen Tag, und die schwefeligen Feuer der Trantiegel wurden bis weit in die Nacht hinein am Brennen gehalten; sie verschmutzten unsere weißen Segel mit einer dünnen Rußschicht. Schließlich fielen die Männer wie tot auf ihre Kojen.
    Am nächsten Morgen verkündete Desperandum förmlich, daß die Laderäume voll waren. Die Männer zogen ihre Masken einen kurzen Moment für einen Jubelschrei ab, dann gingen sie ins Speisezelt, um sich zu einem Galafrühstück niederzulassen.
    Trotz der beträchtlichen Mehrarbeit, die dieser Tag mich kostete, war ich bei guter Laune. Dalusa, deren Erkundungsflüge jetzt nicht mehr notwendig waren, arbeitete hart mit mir in der Kombüse. Nach zahlreichen Fehlversuchen zeigte sie inzwischen Anzeichen dafür, daß aus ihr eine begabte Köchin werden könnte. Übrigens hatte ich vier Flakons mit erstklassigem Syncophin sicher in der Küche versteckt; mehr konnte ich vermutlich nicht vom Planeten schmuggeln.
    Später, am Abend, begann die Mannschaft heftig zu trinken. Es schien, daß nur einer von uns nicht von der Festtagsstimmung angesteckt wurde: Kapitän Desperandum. Der Kapitän hatte sich in den letzten Tagen mürrisch in seine Kajüte zurückgezogen; vielleicht litt er an der Verletzung seines Arms, der immer noch nicht verheilt war. Ich war sternhagelvoll, und Dalusa ging zum Kapitän, um mit ihm zu reden. Sie trank niemals Alkohol, und der Anblick Betrunkener beunruhigte sie. Sie konnte sich an die veränderten Verhaltensmuster nicht gewöhnen.
    Während wir weiter auf die Hochinsel zu segelten, wurde es offensichtlich, daß irgend etwas den Kapitän im Innern beschäftigte. Die Tage strichen dahin, und die Mannschaft verfiel in eine dumpfe Trägheit; sie schlug die Zeit mit Knochenschnitzereien tot. Anders Desperandum. Er schritt dreimal so oft wie sonst unruhig auf und ab und spähte zum Horizont. Einmal kletterte er sogar ins Krähennest

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