Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
auf dem Ross galoppieren konnte, ohne das Tier je zu Schanden zu reiten. Der einzige Nachteil war, dass die Decke das Pferd schließlich tötete, so dass Shakur darauf achten musste, ein weiteres Tier zur Verfügung zu haben, wenn das, welches er ritt, zusammenbrach. Oder er musste sein Pferd hin und wieder ruhen lassen, denn wenn es ruhte, gewann es seine Kraft zurück. Das Pferd würde überleben, bis die Decke entfernt wurde, und dann sterben.
Die Decke sah wunderschön aus. Halbtaan-Sklaven hatten sie aus Seide gewebt, sie war rot mit goldenem Besatz am Rand, der so geschnitten war, dass er wie Flammen aussah.
Shakur kam in den ersten beiden Wochen schnell voran und legte in der Hälfte der Zeit einen weiteren Weg zurück als Grisgels Truppe. Aber dann hatte er das umstrittene Niemandsland nördlich von Dunkarga erreicht und musste langsamer werden, denn in dieser menschenleeren Gegend würde er kein neues Pferd auftreiben können. Er war dazu gezwungen, seinem Tier Ruhe zu gönnen. Er hasste die Nacht, hasste die endlosen, langweiligen Stunden, in denen er nichts weiter tun konnte als unter den Bäumen auf und ab zu gehen und dem Atem des schlafenden Tieres zu lauschen, gequält von Gedanken an ruhevollen Schlaf, wie er ihn seit über zweihundert Jahren nicht mehr gekannt hatte.
In dieser Nacht wurde Shakur auch noch von Hunger gequält. Das erzürnte ihn. Das Bedürfnis zu essen würde ihn weiter verlangsamen. Schlimmer jedoch als der Schmerz des Hungers war die Angst. Dagnarus hatte Shakur versprochen, dass er als Vrykyl ewig leben würde. Shakur hatte das bis vor kurzem auch geglaubt.
Nun aber bemerkte er, dass seine Kraft immer rascher schwand. Was von seiner Leiche geblieben war, löste sich schneller auf. Er war dazu gezwungen, sich häufiger zu nähren, um den Tod, der sein Leben war, aufrechtzuerhalten. Er fürchtete, wenn er nicht bald etwas zu essen bekam, würde seine Kraft so sehr nachlassen, dass er die Nahrung schließlich nicht mehr nutzen konnte, und dann würde er in die Leere sinken, ins Nichts, wo ewiger Hunger auf ihn wartete. Denn er würde tatsächlich niemals sterben – das hatte er inzwischen begriffen. Wenn sein Körper endgültig vergangen war, würde seine Seele weiterleben, und er würde sie nicht mehr ernähren können. Und nun war er hier, inmitten dieser verlassenen Gegend, geplagt von diesem schrecklichen Hunger, und es gab nicht einmal ein einziges Bauernhaus in der Nähe.
Am nächsten Morgen ritt Shakur auf seinem ausgeruhten Pferd weiter. Er musste eine Entscheidung treffen, und die Wahl war bitter. Er konnte rasch weiterreiten und hoffen, das Trevinici-Lager zu erreichen, bevor seine Kraft vollkommen schwand. Wenn er erst dort war, konnte er sich ernähren. Das Dorf war allerdings noch Tage entfernt. Und der Hunger wurde immer quälender. Wenn er hingegen langsam ritt, konnte er vielleicht auf der Ebene eine Patrouille aus Karnu oder ein paar Trevinici-Jäger finden.
Shakur hatte dieses Dilemma immer noch nicht gelöst, als etwas sein totes Fleisch erwärmte. Irgendwo hatte ein anderer Vrykyl ein Leben genommen. Er verspürte durch sein Knochenmesser die Freude, eine Seele zu trinken. Wann immer ein Vrykyl sein Blutmesser benutzt, um zu töten und sich zu nähren, spüren das auch alle anderen Vrykyl und erfreuen sich daran. Einen Augenblick lang sind alle in diesem grausigen Bund miteinander verwoben.
Shakurs Staunen wich der Begeisterung, denn in diesem Augenblick der Freude sah er im Geist das Bild von Svelana. Shakur sah ihr Gesicht so deutlich wie an jenem Tag, als der Dolch der Vrykyl sie für angemessen befand und ihr das Leben nahm.
Aber Svelana war in die Leere eingegangen. Es war nicht sie, die das Blutmesser benutzte. Das Messer, das sie aus ihrem eigenen Knochen hergestellt hatte, war nicht bei der Rüstung gewesen, die der Trevinici im Tempel abgeliefert hatte.
Jemand hatte es gefunden. Jemand hatte es gerade benutzt, um ein Leben zu nehmen. Shakur verband sich mit dem Wesen der Leere, um ein Bild von der Person zu erhalten, die Svelanas Messer benutzte, aber er hatte zu langsam reagiert. Das Gefühl war zu rasch vergangen, und er hatte das Bild verloren.
Shakur zügelte sein Pferd und dachte darüber nach, was dies zu bedeuten hatte – für ihn und für seine Suche nach dem Stein der Könige. Shakur konnte den Stein der Könige nicht spüren. Er hatte ihn nie gesehen und nie berührt. Aber er spürte das Blutmesser.
Und das gab ihm eine Möglichkeit,
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