Der Stein der Könige 2 - Der junge Ritter
für viele Tage auf der Straße, denn er würde keine Zeit haben, um zu jagen. Seine Kameraden waren neugierig, denn sie wussten, dass er gerade erst von einem Besuch bei seinen Leuten zurückgekehrt war. Er sagte ihnen nur, dass er gehört hatte, der Stamm könnte in Gefahr sein, und danach stellten sie keine Fragen mehr. Die erste Pflicht eines jeden Trevinici gilt seinem Stamm. Sie wünschten ihm Glück und sagten, sie würden ihn dann im Norden sehen.
Rabe sattelte sein Pferd. Er führte das Tier aus dem Stall, als der Alarm erklang. Die Stadt wurde angegriffen.
Es hatte schon seit Monaten Kriegsgerüchte gegeben. Von den Außenposten an den östlichen Grenzen waren Berichte eingegangen, dass sie von wilden Geschöpfen angegriffen worden waren. Dann hörte man von überfallenen Karawanen, von ganzen Dörfern, die dem Erdboden gleichgemacht worden waren. Die Berichte waren zunächst aus der Gegend im Westen gekommen, die kaum bevölkert war, Hunderte von Meilen entfernt, und sie brachten nur einen Hauch vom Ruch des Krieges mit. Die Menschen in Dunkar hatten geschnuppert, aber nicht weiter darauf geachtet. Sie waren viel zu sehr mit ihren erbitterten Feinden beschäftigt, den Karnuanern im Osten.
Die Berichte trafen weiter ein, der Ruch des Krieges am Horizont war nun eine dünne Rauchwolke, die deutlich zu erkennen war, denn es wurden nicht mehr nur Außenposten angegriffen, sondern Dörfer, die nur einen Monatsritt von der Hauptstadt entfernt lagen. Der Fluss von Reisenden in die Stadt wurde zu einem Rinnsal, und jene, die Dunkar erreichten, hatten seltsame oder grässliche Geschichten zu erzählen von Menschen, die verschwanden oder auf die grausamste, wildeste Weise getötet worden waren. Gestern hatte man auf den Straßen gehört, dass eine Patrouille nicht von ihrem Ritt zurückgekehrt war.
Aufgeregte Frauen standen an den Wachhäusern, fragten nach Brüdern und Männern, die verschwunden waren. Die Offiziere antworteten ihnen barsch oder überhaupt nicht. Soldaten, die zum Trinken in die Tavernen gingen, grölten nicht mehr gut gelaunt über ihren Würfelspielen, sondern hockten zusammengesackt über ihrem Bier, schauten grimmig drein und unterhielten sich leise.
König Moross, der die Karnuaner zutiefst hasste, war entschlossen, ihnen auch daran die Schuld zu geben. Der Hohe Magus unterstützte ihn dabei aufs Heftigste. Die Angehörigen des Hochadels waren der gleichen Ansicht wie seine Majestät, und jene, bei denen das nicht der Fall war, hielten den Mund, denn wer dessen Gunst verloren hatte, konnte sie nicht leicht zurückerobern.
Der Seraskier, der derzeitige Oberkommandant der Armee von Dunkarga, hielt den Mund nicht. Er sagte seiner Majestät ganz offen, dass diese seltsame Armee aus dem Osten kam und mit Karnu nichts zu tun hatte. Er erklärte, die Karnuaner stünden vermutlich demselben Feind gegenüber wie Dunkarga. Die Stadt sei in Gefahr. Seine Berichte wiesen darauf hin, dass eine massive Streitmacht unterwegs war, und er wollte alle kampffähigen Zivilisten in die Armee rekrutieren, die Wachen auf den Mauern verdoppeln und ihre Schwesterstadt Amrah Len im Norden um Verstärkung bitten.
Der Hohe Magus war selbstverständlich anwesend, um dem König ins Ohr zu flüstern, er solle den Rat des Seraskier ablehnen.
König Moross schätzte die Ansicht des Hohen Magus, aber er schätzte auch seinen Seraskier als den seines Wissens ersten hochrangigen Offizier, der sich nicht vom Gold aus Karnu korrumpieren ließ. Also ging der König so weit, der Verdopplung der Wachen auf den Stadtmauern zuzustimmen, aber er wollte nicht zulassen, dass Zivilisten rekrutiert wurden, denn er fürchtete, dass solche Maßnahmen eine Panik in der Stadt auslösen würden.
König Moross hätte sich diese Vorsicht sparen können, denn am nächsten Tag brach die Panik ohnehin aus, als die Dunkarganer entdeckten, dass die Morgensonne auf eine riesige Armee schien, die über das Grasland im Südwesten marschierte. Die Menschen in Dunkar starrten sie ungläubig an. Nie zuvor hatten sie eine solch große Armee gesehen. Wenn das der Angriff aus Karnu war, dann konnte sich in ihrem Nachbarland kein einziger Soldat mehr befinden.
»Glaubt Ihr, dass das Karnuaner sind?«, fragte ein Offizier, als Seraskier Onaset zur Mauer eilte, um sich das feindliche Heer mit eigenen Augen anzusehen.
Nachdem er den Feind so lange studiert hatte, dass seine Augen davon brannten, schüttelte Onaset den Kopf.
»Das sind keine Karnuaner.
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