Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
inmitten eines Haufens von Steinblöcken, schlug wütend mit den Flügeln und wirbelte dadurch eine Staubwolke auf.
Wolfram fächelte den Staub mit der Hand weg und ging zu einer Stelle, von der aus sie ihn sehen konnte.
»Was willst du denn hier?«, fragte Ranessa. »Bist du gekommen, um etwas zum Lachen zu haben?«
»Ich wollte mich davon überzeugen, dass du dir nicht deinen dummen Hals gebrochen hast«, entgegnete Wolfram. »Du wirst besser.«
»Und?« Ranessa starrte ihn wütend an.
»Ich sage nur, dass du besser wirst«, sagte Wolfram. »Immerhin bist du nicht im See gelandet.«
Der Drache starrte ihn wütend an. »Wenn du es unbedingt wissen willst, ich
wollte
auf dem See landen. Ich habe ihn verfehlt.«
Ranessa erhob sich aus dem Steinhaufen, trat ein paar Steine beiseite und schwang gereizt den langen, schuppigen Schwanz. Einer der Felsbrocken landete ziemlich dicht neben Wolfram, und der Zwerg musste rasch ausweichen, um nicht getroffen zu werden.
»Tut mir Leid«, murmelte Ranessa.
Sie breitete die Flügel im Sonnenlicht aus. Die Spätnachmittagssonne schien durch die transparente, rotorangefarbene Membran, so dass es so aussah, als wäre der Drache von einem inneren Feuer erfüllt. Rote Schuppen glitzerten. Ihr eleganter Kopf auf dem biegsamen Hals bewegte sich anmutig nach unten, da sie sich dazu zwang, geduldig die Membranen ihrer Flügel zu untersuchen. Sie musste feststellen, ob dort vielleicht winzige Risse entstanden waren, denn selbst das kleinste Loch im Flügel konnte während des Flugs rasch größer werden und schweren Schaden anrichten, falls es nicht behandelt wurde. Da Ranessa nicht sonderlich geduldig war, hatte sie diese Lektion auf schmerzliche Weise lernen müssen.
»Warum wolltest du im See landen?«, fragte Wolfram.
Manchmal, wenn er sie so sah, wie sie im Sonnenlicht schimmerte, rührte es ihn zu Tränen. Er räusperte sich und schaute mit einem Schaudern auf das eisblaue Wasser des mit Schnee gekrönten Sees.
»Ich dachte, es wäre vielleicht einfacher, im Wasser zu landen«, schmollte Ranessa. »Weicher.«
Sie schüttelte sich heftig, so dass die Schuppen rasselten, dann faltete sie die Flügel an den Seiten. Mit einem tiefen Seufzer legte sie den Kopf auf den felsigen Boden, die Nase auf gleicher Höhe mit Wolfram. Dann riss sie den Kopf wieder hoch. Sie stützte das Kinn auf eine kleine Kiefer. Mit einem erneuten Schnauben verwandelte sie den Baum in Holzkohle. Und dann senkte sie den Kopf abermals und schmiegte sich gemütlich an die sonnenwarme Erde.
»Das gefällt mir«, stellte sie fest.
»Dinge in Brand setzen«, sagte Wolfram.
»Ja. Das und die Magie. Nur dass ich beides ebenfalls nicht besonders gut kann.«
»Feuer sagt, es ist alles in Ordnung«, versuchte Wolfram sie zu beruhigen. »Es braucht einfach seine Zeit, das ist alles.« Er hielt einen Augenblick inne, dann sagte er lässig: »Vielleicht möchtest du wieder sein, wie du warst. Du kannst dich zurückverwandeln, das weißt du. Du kannst wieder deine alte Menschengestalt annehmen.«
Die schrägen Augen des Drachen waren grün und glitzerten im Kontrast zu den orangeroten Schuppen wie Smaragde. Wolfram schaute nun in diese Augen und suchte nach der Ranessa, welche er gekannt hatte, der wilden, ungezähmten Menschenfrau. Ein kleiner Teil dieser Ranessa war immer noch da – der Teil, der enttäuscht, ungeduldig und ängstlich war. Dieser Teil verschwand jedoch immer mehr, wich jeden Tag ein Stück weiter zurück. Der Drachenteil, der Teil, den Wolfram nicht verstehen konnte, übernahm sie.
»Nein«, sagte sie.
Wolfram rieb sich die Nase und starrte finster seine Stiefel an, die ziemlich abgetragen waren. Morgen würde er aufbrechen. Ganz bestimmt.
»Ich weiß nicht, ob du das verstehst oder nicht«, sagte Ranessa, und an ihrer Art zu sprechen erkannte er, dass sie selbst versuchte, es zu begreifen. »Aber ich habe mich in meinem Menschenkörper nie wohl gefühlt. Einmal, als ich klein war, sah ich, wie eine Schlange sich häutete. Wie sehr ich sie beneidet habe! Meine eigene Haut fühlte sich so klein und eng und bedrückend an. Ich wollte sie unbedingt am Rücken aufreißen und sie loswerden. Jetzt habe ich das getan, und ich will nie wieder in diese Haut zurückkehren. Aber ich erwarte nicht, dass jemand wie du das versteht.«
»Tatsächlich«, erklärte Wolfram würdevoll, »verstehe ich es. Ich habe mich selbst einmal gehäutet.«
»Was? Wie? Erzähl es mir«, drängte Ranessa und riss die
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