Der Stein der Könige 3 - Die Pforten der Dunkelheit
Versprechen gestanden, das er dem sterbenden Ritter Gustav gegeben hatte. Er hatte fremde Länder bereist, war seltsamen Völkern begegnet und hatte dabei gelernt, einige von ihnen zu bewundern, andere zu verabscheuen und wieder andere zu fürchten. Er hatte viel gelernt – das sagte man ihm jedenfalls dauernd. Aber wenn er genauer darüber nachdachte, kam Jessan zu dem Schluss, dass das wohl ein Irrtum sein musste. In seinem früheren Leben hatte er auf alles eine Antwort gewusst. Jetzt kannte er nur noch Fragen.
Er musste diese Stadt hinter sich lassen, in der er zu Anfang immer in die richtige Richtung ging, aber dann jedes Mal falsch abbog und in einer Sackgasse landete. Er konnte den Himmel kaum sehen, weil die Mauern so hoch waren, und er konnte die Sonne nicht spüren, weil die Gebäude Schatten warfen, und er konnte diese stinkende Luft nicht atmen.
Als er das Gasthaus mit seinem Durcheinander aus Hitze, Lärm und hellem Licht erreichte, hatte das seine Entscheidung nur noch bestätigt. Es überraschte ihn nicht einmal mehr besonders zu erfahren, dass dieser fremde Trevinici ein Vrykyl sein sollte. In Jessans früherem Leben hätte er schon den Gedanken an so etwas unmöglich gefunden. In diesem Leben misstraute er allem und jedem. Er wusste, dass das Böse selbst in der freundlichsten Verkleidung lauerte, und er hasste es, das zu wissen.
Er war froh, Bashae und die Großmutter zu sehen, froh, dass sie in Sicherheit waren und genau so verloren und einsam aussahen, wie er sich fühlte. Es blieb nur noch ein Hindernis, und das war der Stein der Könige. Sie hatten ihr Versprechen gegenüber dem sterbenden Ritter Gustav gehalten. Jessans Ansicht nach hatten sie sogar noch viel mehr getan als das. Bashae hatte versucht, Damra den Stein der Könige zu geben, und dann hatte er ihn Baron Shadamehr überreichen wollen. Beide hatten ihn nicht angenommen und die gewaltige Verantwortung Bashae überlassen. Als Jessan nun die kleinen, zerbrechlich aussehenden Pecwae anschaute, umgeben von großen Menschen mit geschickten Fäusten und bedroht von diesem Vrykyl, kochte er vor Zorn.
»Der Stein ist alles, was sie wollen. Sollen sie ihn doch haben«, sagte der junge Krieger zu sich selbst. »Wir haben unsere Aufgabe erledigt. Wir haben genug getan.«
Bashae rutschte auf seinem Stuhl zur Seite und bot Jessan die Hälfte der Sitzfläche und mehr als die Hälfte von Brot und Käse an.
»Ich bin froh, dich zu sehen, Jessan«, sagte Bashae. »Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht. Feuersturm sagte, man hätte dich gefangen genommen.«
Jessan warf einen fragenden Blick zu Feuersturm, der ihn seinerseits genauestens beobachtete. War dieser Mann wirklich ein Vrykyl? Jessan hätte es nicht sagen können. Feuersturm sah genau so aus, wie ein Trevinici-Krieger aussehen sollte, bis hin zu den Fransen an seinen Lederhosen.
»Ich bin froh, dass du meinen Freunden geholfen hast, Feuersturm«, sagte Jessan. »Sie sind die Gefahren einer Stadt nicht gewohnt. Aber es wundert mich, dass du behauptet hast, mich zu kennen, wenn dies das erste Mal ist, dass wir uns begegnen.«
Jessan war der Ansicht, das sei eine ganz natürliche Frage, eine, die sowohl ein Vrykyl als auch ein Tevinici jetzt von ihm erwarten würde.
Feuersturms Miene entspannte sich ein wenig. »Ich muss zugeben, dass ich ein wenig übertrieben habe, wenn auch nicht so sehr, wie du vielleicht denkst. Der Ruf von Jessan und seiner Suche hat sich bei unserem Volk rasch verbreitet.«
»Es ist auch meine Suche«, mischte sich Bashae ein wenig gekränkt ein. »Wir machen das zusammen, Jessan und ich. Und die Großmutter.«
»Selbstverständlich«, sagte Feuersturm höflich. »Tut mir Leid.«
Er sagte vielleicht sogar die Wahrheit, musste Jessan zugeben. Sein Volk hatte zweifellos inzwischen von der Geschichte des sterbenden Ritters gehört und von denen, die sich aufgemacht hatten, Gustavs »Zeichen der Liebe« ins Elfenland zu bringen. Aber das erklärte immer noch nicht, was Feuersturm hier in Neu-Vinnengael machte – weit entfernt von der Heimat der Trevinici.
Andererseits ließ sich kein Trevinici-Krieger je zu Schmeicheleien herab. Es war wahrscheinlicher, dass sie einen beleidigten, statt dass sie versuchten, freundlich zu sein.
»Bashae«, sagte Jessan. »Ich muss zur Latrine. Komm mit, damit du dich nicht wieder verläufst.«
»Ich bin nicht derjenige, der es geschafft hat, sich gefangen nehmen zu lassen«, antwortete Bashae empört. Dann ging er zu
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