Der Stein der Wikinger
gleiche Farbe. Doch wo sollte er sie suchen? Dieses Land schien so unermesslich groß zu sein, dass ein Menschenleben gar nicht ausreichen würde, um sie zu finden. Und wie wollte er verhindern, dass die Krieger ihn töteten? Wie wollte er ihnen begreiflich machen, dass er in friedlicher Absicht kam und eine ihrer Frauen suchte? Was würde ein Jarl seines Volkes sagen, wenn ein dunkelhäutiger Krieger in Grünland oder Eisland landete und nach einer Frau fragte? Man würde ihn auf der Stelle töten oder als Sklaven behalten.
Edwin schien seine Gedanken zu erraten. »Glaubst du, du kannst sie finden? Dieses Land scheint kein Ende zu haben.«
»Ich vertraue den Göttern«, antwortete Hakon. »Sie haben mich auf diesen Fluss geführt und werden mir den richtigen Weg zeigen.« Er steuerte das Boot mit einem Paddel am bewaldeten Ufer entlang. »Ich werde sie finden.«
Auch wenn sie an eine Gabelung des Flusses kamen, ließ sich Hakon von den Göttern und seiner inneren Stimme leiten. Er folgte dem Wind nach Westen, selbst dann, als sie den breiten Fluss verlassen mussten und über einen Nebenfluss ins Licht der untergehenden Sonne fuhren. Um nicht von Kriegern überrascht zu werden, zogen sie ihr Boot vor jeder Rast ins Uferschilf und holten das verräterische Segel ein. Sie lagerten zwischen Bäumen oder Felsen und hielten ihre Feuer so klein, dass sie kaum zu sehen waren. Wenn ihre Deckung schlecht war, verzichteten sie ganz auf ein Feuer.
»Warum bist du nicht mit den anderen nach Grünland zurückgefahren?«, fragte Hakon, als sie in einer Senke abseits des Flussufers rasteten. Über dem Feuer hingen zwei große Lachse. »Du hast eine Frau. Warum bist du hier?«
»Ich bin es dir schuldig«, erwiderte Edwin. »Du hast mir das Leben gerettet. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte Ivar der Einarmige mich verbrannt.«
»Das ist eine Zeit lang her.«
»Und ich mag dieses Land. Es hat etwas … Majestätisches. Hier ist alles größer und weiter als in meiner alten Heimat, die Bäume, der Fluss, die Seen, das Tier mit dem Schaufelgeweih. Hier möchte ich immer leben. Es gibt keinen anderen Ort, an dem ich mich Gott so nahe fühle. Meine Frau kommt nächsten Sommer nach, wenn sie die ersten Siedler nach Vinland bringen.«
»Bist du sicher, dass Siedler kommen?«
Edwin lächelte hintergründig. »Wenn Byrnjolf nicht zurückkehrt, kommt Leif oder ein anderer Verwandter. Sie werden nicht zulassen, dass der tote Thorwald allein in diesem Land bleibt. Und meine Frau wird ihn begleiten, selbst wenn die anderen Familien in Grünland bleiben sollten. Sie kommt.«
»Du wirst es nicht einfach haben«, sagte Hakon. »Die Einheimischen werden nicht zulassen, dass die Mörder ihrer Verwandten auf ihrem Land siedeln. Sie werden zurückkehren und euch mit Pfeilen beschießen.«
»Ich hatte es nirgendwo einfach, mein Freund. Außerdem glaube ich nicht, dass uns die Krieger hier feindlich gesinnt sind. Wenn wir sie wie gute Nachbarn behandeln, muss es nicht zum Kampf kommen. Vielleicht helfen sie uns sogar, in diesem Land zurechtzukommen. Vieles ist neu für uns, die Tiere, die Pflanzen, das Wetter. Wir müssen wissen, wohin die Flüsse fließen, welche Tiere man jagen kann, welche Kräuter gegen Krankheiten wirken. Mit ihrer Hilfe finden wir uns schneller zurecht.«
»Wahre Nordmänner brauchen keine Hilfe«, erwiderte Hakon. Er fühlte sich in seiner Ehre verletzt. »Eisland und Grünland waren menschenleer, als meine Vorfahren dort an Land gingen. Ihnen half auch niemand, und sieh dir an, was aus ihren Siedlungen geworden sind. Wir kommen überall zurecht.«
»Dieses Land ist anders, Hakon. Dies ist eine neue Welt.«
Sie verspeisten die Fische und spülten das feste rosafarbene Fleisch mit Wasser hinunter. Ganz in der Nähe rieselte frisches Quellwasser von einer Felswand. Nach dem Essen vergruben sie die Reste in der weichen Erde, um keine wilden Tiere anzulocken, und löschten das Feuer, obwohl es nachts schon empfindlich kalt wurde. Aber ihre Fellsäcke boten ausreichenden Schutz, und zwischen den Bäumen war der kühle Nachtwind kaum zu spüren.
Während Edwin die erste Wache übernahm und sich am Flussufer postierte, kroch Hakon in seinen Fellsack. Er blieb angezogen und legte das Schwert neben sich ins Gras, um jederzeit kampfbereit zu sein, falls man sie angriff. Er war froh, dass Edwin bei ihm geblieben war, denn wie hätte er sich sonst gegen einen überraschenden Angriff schützen sollen? Ein ehrenhafter Mann,
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