Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Stein der Wikinger

Der Stein der Wikinger

Titel: Der Stein der Wikinger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
Vom Netzwerk:
über ihm, und zarte Hände rieben sein entzündetes Gesicht mit schmerzlinderndem Fett und feuchten Kräutern ein.
    »Ich bin Astrid«, hörte er sie sagen. Ihre Stimme war hell und klang wie aus weiter Ferne zu ihm. Er öffnete die Augen, begegnete für wenige Augenblicke ihrem schüchternen Lächeln und schloss sie wieder. »Du bist nur erschöpft. Bis wir die Schafsinseln erreicht haben, geht es dir wieder besser.«
    Die Schafsinseln, dachte er benommen, auf halbem Wege zwischen Britannien und dem heimatlichen Eisland gelegen. Weit genug von Ivar entfernt, der ihn wahrscheinlich töten würde. Auf den Schafsinseln könnte er ein neues Leben beginnen, wenn es noch Land gab.
    Wie durch einen Schleier nahm er wahr, dass einige Männer ein rot-weiß gestreiftes Segeltuch über den Frachtraum spannten und zu beiden Seiten an der Reling befestigten. Er befand sich auf einem Frachtschiff, auf dem es bloß wenige Ruderer gab. Sie traten nur in Aktion, wenn sie auf kleinstem Raum manövrieren mussten, in einem Hafen oder als sie ihn aus dem Wasser gefischt hatten. Während der Fahrt hielten sich die meisten Ruderer und Passagiere im Frachtraum auf. Sie verließen sich auf das große Segel, das sie sicher durch fast jedes Wetter brachte.
    »Trink, mein Freund«, sagte das Mädchen und hielt ihm einen Becher mit frischem Wasser an den Mund. Er trank vorsichtig. »Wie ist dein Name?«
    Seine Stimme versagte. Wieder kam nur ein heiseres Krächzen aus seinem Mund, und er brachte lediglich ein Lächeln zustande, das gleich wieder verschwand. Sein Körper entspannte sich und er versank in einen tiefen Schlaf.
    Hakon spürte nicht, wie Astrid ein weiteres Bärenfell über ihn legte und ihre Hände länger als nötig auf seinem Körper ruhen ließ. Er war längst in einen Traum geflüchtet: An Bord eines Schiffes glitt er über einen breiten Fluss in ein Sumpfgebiet. In welchem Land er sich befand, wusste er nicht. Das Wasser war spiegelglatt und fast schwarz, die wenigen Bäume ragten wie dunkle Skelette daraus empor. Es roch nach vermodertem Holz. Vereinzelte Blumen leuchteten in der düsteren Umgebung. Der Himmel war so schwarz wie das Wasser im Sumpf, und das einzige Licht kam vom Mond und den Sternen.
    Auch im Traum brachte er keinen Ton hervor, nicht mal ein Krächzen. Er stand am Vordersteven seines Schiffes, den forschenden Blick in die Ferne gerichtet, als könnte er die Dunkelheit zwischen den Bäumen durchdringen. Er suchte verzweifelt nach der jungen Frau, die ihm in dem Buch des Mönchs begegnet war, die sein ganzes Leben verändert hatte. Würde er sie auch ohne das magische Buch finden?
    Hakon wachte plötzlich auf und blickte in die Dunkelheit. Er brauchte einige Zeit, um sich daran zu erinnern, wo er war. Sie befanden sich immer noch auf offener See. Heftiger Südwestwind fegte über das Meer und schüttelte die Knorr durch, Wie alle Frachtschiffe war auch dieses breiter und stabiler als ein leichtes Kriegsschiff und besser gegen raues Wetter geschützt, doch viel schlimmer durfte das Unwetter nicht werden. Wenn die Knorr mit voller Fahrt in ein Wellental rauschte und gleich darauf auf den Kamm der nächsten Welle getragen wurde, knarrten alle Planken und Spanten, und das Segel aus doppelt gewirkter Baumwolle schlug laut klatschend gegen den Mast.
    Hakon hob vorsichtig den Kopf, erkannte die ängstlichen Gesichter einiger Frauen und Kinder, die geduckt unter der Plane saßen, und sank stöhnend auf sein Lager zurück, als heftiger Schmerz gegen seine Schläfen hämmerte. Anscheinend war er im Wasser, ohne dass er es in seiner heftigen Umnebelung gespürt hatte, mit dem Kopf gegen Treibholz gestoßen.
    Nur verschwommen nahm er das Mädchen wahr, eine junge Schönheit mit lockigem Haar, das sich lächelnd über ihn beugte und ihn im flackernden Schein einer Öllampe verarztete. Mit ihren weichen Händen legte sie erneut feuchte Kräuter auf eine Beule an seinem Kopf. Sie konnte höchstens fünfzehn Winter gesehen haben, dachte er, sie war fast noch ein Kind. Dann schloss er die Augen und wurde von dem strömenden Regen, der unablässig auf die schützende Plane trommelte, wieder in den Schlaf gewiegt.
    Diesmal träumte er von seinen Eltern, einfachen Bauern, die als Freie auf dem Land von Ivar lebten und entscheidenden Anteil daran hatten, dass die Rinder und Schafe auf dessen Hof an der Westküste von Eisland so gut gediehen. Freie Leute wie alle seine Vorfahren. Er sah seinen Vater, einen schlanken Mann mit

Weitere Kostenlose Bücher