Der steinerne Engel
zum Gebet.
Jetzt flog sie jählings auf, die steinernen Flügel schlugen und flatterten, sie stürzte sich auf ihn, schlug mit ihrem kleinen Körper, mit den Flügeln auf ihn ein, war nicht mehr aus Stein, sondern warm und lebendig mit einem Herzen, das hämmernd gegen seine Brust schlug. Sekunden später war sie verschwunden.
Verirrte Federn schwebten langsam zu Boden.
Er rieb sich die Augen, dann fiel er vornüber, und scharfkantige Kiesel schnitten in seine Haut. Als er den Kopf hob, war die ursprüngliche Engelsfigur mit dem Kind im Arm, einem Kind ohne Flügel, wieder auf ihren Sockel zurückgekehrt. Er musste weinen, als er sah, dass Cass und Kathy auf wundersame Weise wieder vereint waren. Und dann fing er an zu jaulen, so wie der Hund gejault hatte. Mit gesenktem Kopf jaulte er seinen ganzen Kummer in die Erde.
»Das heulende Elend«, bemerkte Augusta Trebec.
Plötzlich - auch das war wie ein Wunder - verzog sich der Bodennebel. Die Füße der alten Dame waren ganz nah vor seinem Kopf, weitere Leute standen um ihn herum. Während er langsam aufsah, überlegte er, ob sie wohl Steine in der Hand hielten.
Als aus dem hysterischen Stammeln ganz gewöhnliches Schluchzen geworden war, kniete sich Augusta neben den zitternden Jungen. »Komm jetzt, Jimmy, ich mach dir einen schönen Kräutertee.« Sie zog ihn an einem Arm hoch, Mallory nahm das schwarze Tuch vom Gesicht und packte den anderen Arm. Langsam führten sie den Jungen zu dem Weg, der nach Trebec House führte, und Augusta sagte: »Das kommt schon alles in Ordnung.«
Lügen kann die alte Dame wie gedruckt, dachte Riker, als er hinter einem Grabmal hervorkam und einen der Steine aus Papiermaché zertrat.
Charles sah in seinem schwarzen Überwurf einem Priester ähnlicher als einem Magier. Einigermaßen entsetzt betrachtete er den Revolver, den Riker in der Hand hielt.
Riker steckte die Waffe ein und sah dem seltsamen Trio nach, das sich langsam entfernte. Dieser verängstigte Junge war der ideale Zeuge für einen Fall, in dem es keine hieb- und stichfesten Beweise gab. Er sah Charles an. »Du hattest Recht, an sie zu glauben. Ich gebe gern zu, dass ich mich geirrt habe.«
Charles schien der Sieg wenig Freude zu machen. Er nickte stumm, während er das schwarze Tuch von der Figur des geflügelten Kindes nahm.
Riker griff nach dem Samtstoff. »So also hast du sie zum Verschwinden gebracht.« Ein zweites Tuch fiel von der Rollpalette, die noch dünne Schwaden des künstlichen Nebels verbreitete. »Weil du dem Wetter heute Abend nicht getraut hast, musstest du also eine Nebelmaschine mieten ...«
Charles schüttelte den Kopf. »Ich brauchte nur Trockeneis und heißes Wasser.«
Nachdem sich die letzten Dämpfe verzogen hatten, sah Riker die Räder und Kurbeln, die dem Engel zu seinem Höhenflug und seiner Drehung verholfen hatten. Die Schritte der Steinfigur hatte wohl Charles produziert. »Aber was hat der Junge da von einem fliegenden Engel gefaselt? Die Vögel hab ich gesehen, aber dass die Figur selbst abgehoben hat, ist doch wohl Quatsch.«
Charles beugte sich über die Figur des kleinen Mädchens und wischte ihr behutsam das Blut von den Händen, damit sich der Marmor nicht verfärbte. »Das kann ich mir auch nicht erklären.«
»Versuch's wenigstens.«
»Im Grunde war es ein ganz simpler Verwandlungstrick. Als ich die Vögel freiließ und das Tuch über die Figur warf, hätte er sehen müssen, dass die Steinfigur sich in eine Taubenschar verwandelte. Ich konnte ja nicht ahnen, dass die Vögel sich auf ihn stürzen, ihn förmlich angreifen würden.«
»Ich kapiere es immer noch nicht, Charles.«
»Es war eine Erscheinung, die er sich selbst geschaffen hat - ein Zusammentreffen zweier Illusionen. Die Vögel verwandelten sich in das, was er zu sehen erwartete. Er war fast von Sinnen vor Angst und ist es noch.«
Riker nickte. Aussagen von Augenzeugen, bei denen Magie im Spiel war, waren für jeden Cop ein Horror. Wenn der Zeuge einen Schuss gehört hatte, war er bereit zu schwören, eine Waffe gesehen zu haben - ob sie nun da gewesen war oder nicht. Und manchmal waren nicht mal die Schüsse echt. Trotzdem konnte man dem Zeugen nicht vorwerfen, er hätte gelogen.
»Reg dich nicht auf, Charles. Cass Shelley hatte auch eine Wahnsinnsangst, als die Steine auf sie zugeflogen kamen.«
»Jimmy Simms war erst dreizehn, als sie starb.«
»Die Mörder werden immer jünger. In New York haben wir einen, der erst neun ist.«
Für Charles, der
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