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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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und er erschrak so, dass er mit dem Rollstuhl rücklings die Treppe hinabstürzte. Er war nicht gleich tot, sondern lag mit kaputten Knochen da und schrie vor Schmerzen. Augusta kam gar nicht in den Sinn, ihn von seiner Qual zu erlösen, und sie blieb bei ihm, bis er starb. Fast zwei Tage.«
    »Sie hat keinen Arzt gerufen?«
    »Nein. Aber sie war so clever, einen Anwalt zu holen, nämlich meinen Vater. Deshalb habe ich miterlebt, wie sie den Alten erledigt hat. Ich war fünf.«
    »Ihr Vater hat Ihnen so etwas zugemutet?«
    »Er hatte keine Ahnung, was sie von ihm wollte, und es war spät. Allein mochte er mich nicht im Haus lassen, die Haushälterin war heimgegangen, und eine Mutter hatte ich nicht. Mein Vater hat sofort einen Krankenwagen gerufen, und Augusta befürchtete wohl, der Alte könnte durchkommen. Daraufhin beugt sie sich über Jason und sagt ihm, dass sie ihn in der Familiengruft begraben wird, damit er einen guten Blick auf das Haus hat, das er so liebt. Und als der Alte lächelt, schreit sie ihn an: ›Damit du zusehen kannst, wie es eines Tages zusammenkracht, denn ich mache nichts an dem Kasten, das versprech ich dir.‹ Da ist der Alte erst rot und dann blau angelaufen, und gleich darauf war er tot.«
    »Aber Sie sagen, dass sie gestanden hat. Wie konnte der Untersuchungsausschuss auf Tod durch Unfall entscheiden?«
    »Ein bisschen verbiegen mussten sie sich dazu schon, das stimmt, aber die Argumentation war durchaus plausibel. Wenn ihre Aussage, er sei mit dem Rollstuhl rücklings die Treppe hinabgestürzt, gelogen war, sagten sie sich, war womöglich auch gelogen, dass sie ihn ursprünglich mit der Pistole hatte umbringen wollen. Folglich war das, was sie über den Sturz ausgesagt hatte, die Wahrheit. Und juristisch gesehen war es ja auch eine Art Unfall.«
    »Aber sie hat zwei Tage zugesehen, wie er sich gequält hat.«
    »Ja, das war der Jury auch nicht recht geheuer, aber mein Vater hat das Problem für sie gelöst. Er schwor, dass Jason Trebec in höherem Alter in die Kirche der Christlichen Wissenschaft eingetreten war und keinen Arzt wollte. Jason und Augusta hätten die beiden Tage im gemeinsamen Gebet verbracht.«
    »Und das hat der Ausschuss geschluckt?«
    »Weil er es schlucken wollte. Während Dad den Geschworenen das Märchen erzählt hat, haben sie breit gegrinst. Als er fertig war, fing Augusta an zu lachen. Daraufhin verließ mein Dad ganz cool den Zeugenstand und gab ihr eine schallende Ohrfeige. Das arme Mädchen sei hysterisch vor Kummer, sagte er zu den Geschworenen und schleppte sie eigenhändig aus dem Saal, ehe sie noch mehr Schaden anrichten konnte.«
    »Ihr Vater hatte sich in Augusta verliebt, was?«
    »Und der Arzt zum Glück auch. Er hat das Märchen meines Vaters im Zeugenstand bestätigt. Es ist also durchaus vorstellbar, dass sie Babe Laurie umgebracht hat, aber ich will es gar nicht wissen und habe sie deshalb nie danach gefragt.«
    »Sie hatte kein Motiv.«
    Butlers Loyalität gefiel dem Sheriff. Der Mann hatte offenbar einen anständigen Charakter. Dass Augusta mit ihm Freundschaft geschlossen hatte, sprach für ihn, zumal er weder Fell noch Federn besaß.
    »Augusta ist nördlich vom Upland Bayou die Herrin über Leben und Tod«, sagte Jessop. »Der Mord an Cass ist Augusta sehr nah gegangen. Seither gibt es wohl kaum etwas, was ihr entgangen ist. Sie hat den Finger Bayou und die Straße zum
    Herrenhaus blockiert, hat ihren Grund und Boden so sorgfältig gegen Eindringlinge abgeschirmt, wie Sie und ich es mit unserem Haus machen würden. Und da lungerte nun Babe auf der Straße zu dem Haus von Cass Shelley herum und wartete auf Kathy. Ich weiß, dass er da war, ich habe drei seiner Kippen an der Stelle gefunden, an der er gestorben ist.«
    »Aber woher sollte Augusta das wissen? Doch nur, wenn sie über alle Ereignisse informiert war, die zum Tod von Babe Laurie führten. Das heißt aber denn doch den Bogen etwas überspannen.«
    »Wenn sie's nicht war, möchte ich wetten, dass sie den Täter kennt. Haben Sie es immer noch nicht kapiert? Von ihrem Dachfenster aus sieht Augusta alles, was sich in der Umgebung abspielt, und sie verbringt viel Zeit hinter ihrem Fernglas. Glauben Sie wirklich, dass sie da nur ihre gefiederten Freunde beobachtet? Wir sitzen alle in Augustas Vogelhaus.«

23
    Jimmy Simms saß, prächtig anzusehen in seinen neuen alten Sachen, mit überkreuzten Beinen auf einer alten karierten Decke und beugte sich über ein Buch. Die Füße steckten in

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