Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
Vom Netzwerk:
Gang auf die helle Küche zubewegte.

24
    »Das war der Rest.« Augusta schob einen Papierstapel zur Seite und stellte einen Becher mit heißen Kaffee auf den Küchentisch. »In ein paar Minuten ist die nächste Kanne fertig.«
    Riker saß mit aufgestützten Ellbogen am Tisch und hielt sich die Ohren zu, um die gnadenlos zwitschernden und tschilpenden Vogelstimmen nicht mehr hören zu müssen, die seit der Morgendämmerung durch die hohen Fenster drangen. Er sehnte sich nach den Hintergrundgeräuschen New Yorks, die er kannte und liebte: Autohupen und Feuerwehrsirenen, Schreie und Schüsse.
    Andere Städte, andere Lieder.
    »Halten diese verdammten Vögel denn nie den Schnabel?«
    »Nein. Sie singen den ganzen Tag.« Augusta schaltete die Kaffeemaschine aus und legte lauschend den Kopfschief. »Das ist Charles, er klopft immer so diskret.«
    Als Augusta die Küche verließ, regte sich der neben Riker sitzende Jimmy, schlief aber weiter, leise schnarchend, den Kopf auf die Arme gelegt. Sein Gesicht wirkte sehr jung und unschuldig.
    Aber was besagt schon ein Gesicht?
    Riker rieb sich die roten Augen und konnte den Kaffee gar nicht schnell genug hinunterstürzen, um den Kreislauf auf Trab zu bringen. Er wusste, dass er zu alt war, um die Nächte durchzumachen, aber nicht nur deshalb hätte er am liebsten auf der Stelle seinen Job hingeschmissen. Er hatte sich vorübergehend im Kopf des jungen Mannes häuslich eingerichtet, und dieser Aufenthalt hatte ihn das Gruseln gelehrt. In Jimmys Kopf steckte nur stinkender Dreck, und Riker hatte das dringende Bedürfnis, sich nicht nur einmal, sondern hundertmal unter die Dusche zu stellen.
    »Morgen, Riker.« Jedes Zimmer, in dem Charles Butler auftauchte, wirkte plötzlich kleiner, und weil er das wusste, setzte er sich rasch, ja fast entschuldigend, um Riker nicht zu bedrängen. »Mallory ist noch nicht auf?«
    Riker versuchte, sich den Neid auf den ausgeruhten Charles nicht anmerken zu lassen, und sah auf die Uhr. Es war kurz nach acht. »Sie hat einen anstrengenden Tag hinter sich.«
    »Und ich habe ihr Passionsblume und Baldrian ins Essen gegeben«, sagte Augusta und sah die Kaffeemaschine drohend an, als könnte sie damit das schwarze Gebräu dazu bewegen, schneller in den Glaskrug zu laufen. »Sie hat in der letzten Zeit nicht genug Schlaf gehabt. Das kann sie heute nachholen.«
    Riker grinste. »Saubere Arbeit. Verraten Sie mir gelegentlich das Rezept?«
    Charles betrachtete die Aktenstöße, die Riker vor sich liegen hatte. »Ist das alles?«
    »Der ganze Fall.« Riker griff nach einem Bündel blauer Bogen, die den Briefkopf des Krankenhauslabors trugen. »Einer muss eine Kopie von Almas blauem Brief sein.« Die Schreiben waren alle an Dr. Cass Shelley in ihrer Funktion als beratende Ärztin der Gesundheitsbehörde gerichtet. »Wenn man dazu noch Jimmys Geständnis nimmt und all das Material, das Mallory aus den Computern geholt hat, dürfte das ausreichen, um die ganze Bande vor Gericht zu bringen.«
    Riker stapelte die Papiere aufeinander. »Ja, das wär's dann wohl.« Sein Blick ging von dem schlafenden Jimmy Simms zu Charles. »Hattest du auch schon mal Tage, an denen du so voller Hass warst, dass du dir keinen Rat mehr wusstest?« Gleich darauf begriff er, dass er den Falschen angesprochen hatte, und wandte sich zum Herd, wo Augusta in ihren Töpfen rührte. »Da haben Sie ein wahres Wort gesprochen«, bestätigte sie nachdrücklich.
    Er fuhr sich mit der Hand durch das ergrauende Haar. Hundemüde war er. »Wenn du mir einen Gefallen tun willst, Charles, gehst du zu Henry rüber und holst den Wagen. Ich will Jimmy zum Sheriff bringen und möchte nicht, dass jemand den Kronzeugen sieht, ehe er hinter Schloss und Riegel sitzt.«
    »Jetzt lassen Sie ihn doch noch einen Augenblick in Ruhe.« Augusta brachte Charles einen Becher Kaffee, dann servierte sie das Frühstück.
    Riker, der morgens auf Kaffee und Toast eingeschworen war, starrte einigermaßen fassungslos auf die kalten und warmen Gerichte, unter denen sich der Tisch fast bog, ließ sich aber schließlich doch von den Düften von Bratkartoffeln und Pfannkuchen mit Sirup verführen. Und als er nach dieser Frühstücksorgie schon mehr als satt war, hielt Augusta ihm ein warmes gebuttertes Brötchen unter die Nase. Da stellte er resigniert den Gürtel ein Loch weiter und griff zu.
    Riker spürte, dass Charles etwas auf dem Herzen hatte. Als Augusta mit einem Beutel Vogelfutter die Küche verließ, horchte er auf

Weitere Kostenlose Bücher