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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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gebannt zusah, wie Ray Laurie langsam verbrannte, hatte sich Charles hingekniet und einen von Rikers schlaffen Armen um den Hals gelegt. Jetzt richtete er sich auf und setzte sich, den bewusstlosen Riker im Schlepptau, wieder in Bewegung. Rikers Schuhspitzen zogen Rillen durch den Boden, und sie kamen nur langsam voran.
    Ray Laurie hatte aufgehört zu schreien, zu zappeln und zu zucken. Die Menge wandte sich wieder Charles und seiner schweren Bürde zu. Er spürte ihre Blicke, spürte die heißen Flammen im Rücken und die sich ständig steigernde Spannung, als hundert Menschen sich langsam in Bewegung setzten.
    Kein Wort war gefallen, kein Zeichen gegeben worden, aber sie gingen einmütig auf ihn zu und stellten sich erneut im Kreis auf. Einer nach dem anderen bückte sich und griff nach einem Stein.
    Charles wappnete sich gegen den nächsten Treffer. Er wollte gerade Riker hinlegen, um ihn mit seinem Körper zu decken, da hörte er eine Frau rufen: »Seht mal da!«
    Sie deutete dahin, wo Owltowns Hauptstraße anfing.
    Auf der ganzen Straße brannte nur eine Laterne. In ihrem Lichtkreis stand eine Gestalt in Reitstiefeln und langem dunklen Mantel. Das Gesicht war unter dem breitrandigen schwarzen Hut nicht zu erkennen.

27
    Tom Jessop stand vor dem Schwesternzimmer. Er trug Ira auf dem Arm. In langer Reihe wurden Fahrtragen von Pflegepersonal an ihm vorbeigerollt. Darlene schluchzte, aus den Lautsprechern dröhnten Anweisungen, und die gehetzte Schwester vom Notdienst betrachtete prüfend Iras blutverschmiertes, verschwollenes Gesicht, während sie ihm den Puls fühlte. Behutsam zog sie ein Lid hoch.
    »Tut mir Leid, Sheriff, aber unsere Gänge sind voll mit kritischen Fällen, da kann es schon eine Weile dauern, bis sich ein Arzt um ihn kümmern kann. Die Verbrennungen aus dem Chemiewerk gehen vor.«
    Er wusste, was sie wirklich meinte. Iras Atem ging rasselnd, sein Gesicht hatte sich bläulich verfärbt. Tom Jessop kannte das von Unfallopfern. Der Junge lag im Sterben und gehörte nach Meinung der Schwester wohl nicht zu den Patienten, die vielleicht noch eine Chance hatten.
    Sie wandte sich eilig dem nächsten Opfer zu, das durch die Schwingtüren der Notaufnahme geschoben wurde. Es war eine Frau, die über und über mit Brandblasen bedeckt war. Die Kleidung war blutgetränkt, das lange dunkle Haar zur Hälfte verbrannt. Der Sheriff sah, wie die Schwester auch bei dieser Patientin den Kopf schüttelte und die Bewusstlose zu einem einsamen Tod mit Blick auf eine kahle Wand verdammte.
    Den Sheriff packte die Wut. Wozu hatte er eigentlich die Schallmauer durchbrochen, um Ira in dreizehn Minuten zum Krankenhaus zu fahren? Damit er jetzt doch starb, weil kein
    Arzt greifbar war? Er wandte sich an Lilith. »Hol mir einen dieser kleinen Dreckskerle mit einem Stethoskop. Wie du's machst, ist mir egal.«
    Tom Jessop legte seine Last auf der langen Arbeitsfläche im Schwesternzimmer ab. Um ihn herum war alles in hektischer Bewegung. Blut in Plastikbeuteln wurde auf Karren durch die Gänge gerollt, blutüberströmte Patienten wurden zu den OP-Räumen am Ende des Flurs gefahren.
    Darlene beugte sich über ihren Sohn und lauschte auf seinen Atem, bereit, für Ira zu atmen, wenn er selbst es nicht mehr konnte.
    Der Sheriff beobachtete, wie Lilith sich über den Gang pirschte. Er konnte sich denken, wohin sie wollte. Ihr Vater hatte die Gabe, am Forellenbach genau die Stelle zu finden, wo die Fische zusammenkamen, um heimlich neue Strategien zur Überlistung der Angler abzusprechen, und er war nie ohne einen Fang heimgekommen. Offenbar wusste Lilith, wo die Ärztequelle angezapft werden konnte.
    Eine Schwingtür ging auf und gewährte ihm einen kurzen Blick auf Wolken von Zigarettenrauch, Getränkeautomaten und Möbel, die sehr viel bequemer waren als das Plastikzeug in der Halle. Lilith schnappte sich einen Arzt, der gerade auf dem Weg nach draußen war.
    Der reagierte zunächst gereizt, dann aber taxierte er die junge Frau, die ihn angesprochen hatte, ganz ungeniert, besonders ihre Oberweite. Lilith schob sich nah an ihn heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Tom Jessop hatte den Eindruck, dass der Arzt mit einer Hand sein edelstes Teil schützen wollte, aber dazu kam er nicht mehr, denn Lilith hatte ihn schon am Arm gepackt und schleppte ihn über den Gang.
    Der Sheriff grinste und formte mit den Lippen ein stummes Lob: »Guter Fang!«
    Der Arzt beugte sich forschend über Ira. »Eine Lunge ist kollabiert. Ich brauche eine

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