Der steinerne Engel
Kaliber .45, aber besser als nichts.« Sie steckte die Pistole ein und war schon wieder draußen. Die Katze schien noch vor Charles begriffen zu haben, was gespielt wurde, und folgte ihrer Herrin auf dem Fuß.
Charles lief hinter der gelben Katze her und schlug ihr die Haustür vor der Nase zu, was sie mit wütendem Fauchen quittierte.
»Lassen Sie die Katze raus!«, fuhr Augusta ihn an.
Charles öffnete die Tür, und die Katze schoss an ihm vorbei. Als er hoch sah, saß Augusta schon auf dem ungesattelten Schimmel und kam tänzelnd näher. »Inzwischen dürften sie schon am Friedhof sein. Aufsitzen, Charles, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist!«
»Wäre es nicht besser, wenn ...«
»Halten Sie keine Volksreden, Charles. Ich weiß, wie ein Mob aussieht, der nach Blut dürstet.«
Charles schwang sich von der zweiten Stufe der Freitreppe aus hinter Augusta auf das Pferd.
»Festhalten!«, rief sie ihm noch zu, dann ging es im Galopp über die breite Rasenfläche.
Zum letzten Mal hatte er als Kind auf einem Pferd gesessen, und zwar auf einem gesattelten. Schon nach ein paar Metern wunderte er sich, dass er noch nicht heruntergefallen war. Er spürte, wie die kräftigen Pferdemuskeln sich unter ihm spannten, während sie auf den hohen Deich zugaloppierten, der sich schwarz vor dem Himmel abhob.
Er hatte die Arme um Augustas Taille gelegt und schrie ihr ins Ohr: »Wir reiten doch unten am Deich entlang, oder? Um die Spitze des Upland Bayou herum?«
»Geht nicht!«, rief sie zurück. »Da ist der Boden zu nass und zu weich, der Gaul würde aus dem Tritt kommen, noch ehe wir bei Henry sind.«
»Wann kommt Henry zurück?«
»Spät. Halten Sie sich mit den Beinen fest. Wir nehmen den Weg, den der Gaul am besten kennt, hier ist er schon tausendmal langgelaufen.«
Sie ritten die Böschung hinauf. Geschickt gab sie dem Pferd Hilfen. Charles hielt sich fest, so gut er konnte, aber jedes Mal, wenn das Pferd auf dem steilen Hang ins Stolpern kam, geriet er gefährlich ins Rutschen. Der Schimmel fand in dem ausgewaschenen Erdreich, das unter seinen Hufen nachgab, erstaunlicherweise immer wieder Halt. Höher und höher hinauf ging es - scheinbar geradewegs zu den Sternen. Dann war die Deichkrone erreicht. Sie galoppierten dem Horizont entgegen.
Charles sah kurz zurück. Ein kleines Heer von Ameisen mit weißen Händen und Köpfen tauchte aus der Eichenallee auf und rückte auf Trebec House vor.
Die Pluderhosen des vor der Ladefläche hin und her torkelnden Stelzenläufers verdeckten den Sarg mit dem Glasdeckel. Die hundert Trauergäste hatten sich für das kostenlose Besäufnis fein herausgeputzt. Ein paar Männer hatten die Gesichter hinter Karnevalsmasken versteckt, andere trugen bombastische Federhüte, die als grelle Farbtupfer durch die Menge schaukelten, während der Alkohol in Strömen floss und billiger Schmuck im Licht der Scheinwerfer aufblitzte. Doch Malcolms Paillettenanzug überstrahlte alles. Er hatte seinen Thron verlassen, saß rittlings auf dem Sarg und grüßte lachend seine Untertanen.
Nur von der Dixielandband hörte man nichts. Die Musiker standen neben dem Tieflader, sahen sich fragend an und traten von einem Fuß auf den anderen. Am liebsten wären sie abgezogen. Clark Kinkaid, der Trompeter, hob sein Instrument und nickte den anderen zu. Langsam bewegten sie sich rückwärts von dem Tieflader weg, doch Ray Laurie, anzusehen wie einer, der zur Bewachung von Kettensträflingen eingesetzt war, vertrat dem Saxofonisten den Weg. Er hatte ein Flinte in der Hand.
Die Musiker brachen ihren Rückzug ab. Eine hübsche Frau kam mit einer vollen Flasche für die Band angetänzelt. Der Alkohol floss seit einer Stunde, dabei hatte die Bestattung noch gar nicht angefangen.
Clark besah sich, die Trompete unter dem Arm, die um Stöcke gewickelten benzingetränkten Lappen. Der Fackelzug durch die Hauptstraße von Owltown hätte längst beginnen sollen, aber der Wagen des Krematoriums war unverrichteter Dinge wieder weggeschickt worden. Offenbar hatte Malcolm vor, seinen Leuten an diesem Abend noch weitere Lustbarkeiten zu bieten.
Nur war das mit der Band nicht abgemacht. Clark hatte für acht den nächsten Termin vereinbart, weil er davon ausgegangen war, dass sie bis dahin mit ihrem Auftritt in Owltown längst fertig sein würden. Wann ging es endlich los? Und wer war der alte Knabe, den die Betrunkenen da umringten? Der Kreis schloss sich dichter um ihn und nahm ihm die Sicht. Clark kletterte auf die
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