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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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schlossen sich langsam.
    Charles spürte, dass sie etwas verloren, dass etwas in ihr zerbrochen war.
    Ein fetter gelber Mond hing über den Zuckerrohrfeldern. Es sah so aus, als sei auch er in Bewegung und liefe, ab und an hinter einem Haus verschwindend und auf der anderen Seite wieder hervorkommend, auf dem schwarzen Band des Highways mit dem Wagen des Sheriffs um die Wette.
    Lilith hob leicht das Kinn und schlug die Augen auf. Im dunklen Spiegel der Fensterscheibe erkannte Charles, dass ihr Gesicht sich verhärtet hatte. Ihr Blick war auf denselben Mond, auf dieselben Felder gerichtet, aber er hatte den Eindruck, dass sie eine völlig andere Landschaft betrachtete.
    Der Tod hatte alles verändert.

29
    Mallory hatte die Stiefel mit nagelneuen Laufschuhen vertauscht. In einiger Entfernung von den übrigen Gästen stand sie da, hielt ihr Weinglas - ein Erbstück der Familie Shelley - ans Licht und bewunderte das eingeschliffene Monogramm. Zur Feier des Tages hatte sie die eleganten Speisezimmermöbel vom Dachboden holen lassen. Auf dem langen Rosenholztisch lag eine kostbare Spitzendecke, Silber und Kristall funkelten.
    Charles sah ihr nach, als sie in die Bibliothek mit ihren leeren Regalen hinüberging, und wollte ihr folgen, aber seine Gastgeberin verstellte ihm den Weg.
    »Sie nimmt Abschied von dem Haus«, sagte Augusta.
    Charles nickte und trank ihr lächelnd zu. »Auf das erfolgreich abgeschlossene Immobiliengeschäft!«
    Sie stieß mit ihm an, und Henrys Hände bedeuteten ihm hinter ihrem Rücken: »Das nächste Haus, das sie haben will, ist meins.«
    »Ich hoffe doch, dass in der Übertragungsurkunde eine einschränkende Bestimmung vorgesehen ist, damit Sie das Haus nicht abfackeln oder verkommen und verfallen lassen können?«
    »Genau das hat Mallory zur Bedingung gemacht«, sagte Augusta belustigt und ging zu Riker hinüber, dessen Glas einen beunruhigend niedrigen Pegelstand aufwies.
    Der Sergeant hatte es sich in einem bequemen Sessel mit Fußstütze gemütlich gemacht. Auf dem eingegipsten Arm hatten sich hübsche Krankenschwestern, Staatspolizisten und die schöne Lilith Beaudare mit ihren Autogrammen verewigt. Er genoss es, den Invaliden zu spielen, denn in dieser Rolle erreichte er mit einem stummen Blick über den Tisch, dass ihm jeder Wunsch erfüllt wurde. Augusta hatte Riker ins Herz geschlossen, was dazu führte, dass die anderen Gäste ein bisschen zu kurz kamen. Der Sheriff und Lilith mussten sich selbst Wein einschenken, während Augusta und Riker hinter einer Wolke von Zigarren- und Zigarettenrauch die Köpfe zusammensteckten.
    Charles sah durch die breite Türöffnung der Bibliothek Mallory vor dem Kamin stehen. Der Wind rüttelte an den Scheiben. Eine Bö fuhr durch eine offene Entlüftungsklappe im Kamin und wirbelte eine kleine Staubwolke auf.
    Hattest du dir die Heimkehr so vorgestellt, Mallory? Jetzt hast du deine Rache und dir deinen größten Wunsch erfüllt. Und nun stehst du da und wartest darauf, dass der Staub sich legt...
    Sie war so verschlossen und undurchschaubar. Augusta hatte Recht behalten: Er würde nie auf alle seine Fragen eine Antwort bekommen und hütete sich, die persönlichsten auch nur anzudeuten. Doch nun gingen sie ihm ständig im Kopf herum, wie blinde Fledermäuse, die dazu verdammt sind, immer im Kreis zu fliegen.
    Da war zum Beispiel der Name Mallory, den sie sich selbst gegeben hatte. Die Theorie, dass es der Name ihres Vaters war, fand er immer noch recht überzeugend, aber sie hatte sich geweigert, ihm etwas über diesen Mann zu erzählen. Vielleicht war er ihr auch gleichgültig. Seit ihrem zehnten Lebensjahr war Louis Markowitz ihr Vater gewesen, und das war ihr offenbar genug.
    Mallory drehte sich um, und Charles senkte wie ertappt den Kopf. Auf dem Weg zurück ins Speisezimmer griff sie sich einen Karton mit persönlichen Erinnerungen an ihre Mutter, den sie in der Diele abstellte. Bald würden sie ihn zum Auto bringen. Die Party war fast vorbei.
    Augusta vergewisserte sich mit einem raschen Blick, dass alle wieder beisammen waren, und brachte dann einen Trinkspruch auf die glückliche Rückkehr in die Heimat aus. Charles sah zu Mallory hinüber.
    Heimat - wo ist das?
    Morgen früh würde sie mit ihm nach New York zurückfahren, aber wie lange würde sie dort bleiben? Nicht Orte bedeuten ja Heimat, dachte er bei sich, sondern Menschen, und es war sehr unwahrscheinlich, dass sie jemals bei ihm ihre Heimat suchen würde, allenfalls eine vorübergehende

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