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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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das Travis auf dem Sterbebett abgelegt hat. Warum hast du dem Sheriff beim Lügen geholfen?«
    »Kannst du dir das nicht denken?« Dann aber begriff Riker, dass das Denken in der Beziehung von Charles zu Mallory nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Charles glaubte trotz gegenteiliger Beweise blind an ihre Unschuld. Riker war in seiner Loyalität pragmatischer. Hätte Mallory auf eine alte Nonne im Rollstuhl geschossen, hätte er sich gesagt, dass die Nonne das höchstwahrscheinlich verdient hatte.
    »Du glaubst also immer noch, dass es Mallory war.«
    »Immerhin hatte sie ein recht überzeugendes Motiv«, sagte Riker und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie tief Charles' blinder Glaube ihn berührte. »Außerdem hatte sie die Gelegenheit - und kein Alibi.«
    »Weil Babe zu dem Mob gehörte? Deine Logik steht auf ziemlich tönernen Füßen, Riker. Travis war auch dabei, aber dem hat sie das Leben gerettet. Sie konnte schließlich nicht wissen, wer mitgemacht hat. Sie war im Haus, eingesperrt in ...«
    »... in ihrem Zimmer, jawohl. Aber dort wäre ihr kein Ton entgangen. Hörst du die Vögel, Charles?«
    Charles wandte sich um. Der Baum vor dem Fenster war voller Singvögel, deren Stimmen mühelos durch die Scheibe drangen. Und jetzt hörte er auch Betty, die auf der Veranda neue Gäste begrüßte. Er erkannte deutlich, dass es ein Mann und eine Frau waren, hin und wieder konnte er sogar ein Wort aufschnappen.
    »Augusta hat mich durch das Shelley-Haus geführt«, sagte Riker, »und mir Kathys Zimmer gezeigt. Hast du das Fenster gesehen, das hoch oben in der Wand im Schrank war? So was kannte ich bisher nicht. In den begehbaren Schränken alter Häuser, in denen es früher kein elektrisches Licht gab, waren häufig Fenster, sagt Augusta. Gesehen haben kann Mallory nichts, für ein kleines Mädchen war das Fenster zu hoch, aber sie muss etwas gehört haben. Vielleicht nicht die Stimme von Travis, aber irgendetwas, und wenn es nur ein paar Worte waren. Solange sie in dem Schrank eingesperrt war, hat sie natürlich nicht begriffen, was sich draußen abspielte, aber als sie dann ihre Mutter sah, gab das Ganze einen Sinn. Ich hab dir schon mal gesagt, dass sie mehr in der Hand hatte als der Sheriff.«
    »Travis hat nur einen Hund gesteinigt. Alma, die auch dabei war, hat ihren Stein mit nach Hause genommen. Wenn Mallory gehört hat...«
    »Lass gut sein, Charles.«
    »Die treibende Kraft bei der Steinigung war Malcolm und nicht Babe.«
    »Wenn der Mob tötet, sind sie allesamt schuldig, so will es das Gesetz. Malcolm musste alle mit hineinziehen, die an der Sitzung teilgenommen hatten und den Sheriff später von dem blauen Brief hätten erzählen können. Mag sein, dass nicht alle
    Steine geworfen haben, aber alle haben sie zugesehen, wie Cass gestorben ist. Keine Hand hat sich gerührt, um ihr zu helfen. Es gibt hier keine Unschuldigen.«
    Riker öffnete das Schiebefenster. Unten lehnte der Sheriff an seinem Wagen.
    »Hey, Tom. Noch zwei Minuten, okay?«
    »Lass dir Zeit.«
    Riker schloss das Fenster und machte sich daran, Charles Butler endgültig außer Gefecht zu setzen - und zwar möglichst so, dass es nicht allzu wehtat.
    »Ja, ich glaube, dass sie es war. Deshalb habe ich dem Sheriff den Rücken gestärkt. Ich war ja heilfroh, dass Mallory nicht die ganze Stadt erledigt hat.«
    Immerhin hatte sie Owltown erledigt. Der Ort lag in Schutt und Asche, aber die meisten Opfer waren schließlich mit Schuss- und Brandwunden davongekommen.
    Charles sah ihn nur traurig an und schwieg.
    »Was willst du eigentlich von mir?« Riker griff nach seinem Koffer und stellte ihn an der Tür ab. Vielleicht begriff Charles den Wink mit dem Zaunpfahl und gab den Weg frei. Doch der rührte sich nicht von der Stelle.
    »Ich gedenke nicht, meine Aussage zu widerrufen, Charles. Es wäre sinnlos. Den Sheriff interessiert es nicht, wer Babe Laurie umgebracht hat. Keinen interessiert das.« Nur ihn und Charles. Und Mallory war aus dem Schneider. Sie würde sich für den Mord nicht verantworten müssen.
    »Es war nicht Mallory«, sagte Charles. »Das ist für mich nicht eine Frage des Glaubens, sondern des Wissens. Interessiert es dich jetzt vielleicht doch ein bisschen?«
    Riker kam sich vor wie in dieser einen Sekunde der Schwerelosigkeit, bei der einem im Aufzug der Magen bis in die Kniekehlen sackt. Weil Charles seines Wissens noch nie geblufft hatte, erlebte er, Riker, jetzt den Albtraum eines jeden Cops. Er hatte sich gegen

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