Der steinerne Engel
gelangten und die Schwachen zu Macht.« Jetzt wechselte Malcolm zu der von einem anderen Schriftsteller auf den Markt geworfenen Billigversion von Zen. »Sie brauchen sich dafür nicht mal anzustrengen. Je weniger Sie strampeln, desto näher kommen Sie dem, was – oder wen – Sie wollen.«
Laurie hatte offenkundig sorgfältig das studiert, was an New-Age-Verheißungen zu Erkenntnis, Wohlstand und ewiger Liebe in den Buchhandlungen herumstand. Die Neue Kirche war demnach einfach ein Supermarkt, der ein intensiveres Leben, eine aufgeklärtere Seele und alle nur erdenklichen Sinnenfreuden im Angebot hatte – ohne Mühe, ohne Arbeit und vor allem ohne Steuern, denn es handelte sich ja um eine Religionsgemeinschaft.
»Etwas fehlt in Ihrem Leben, nicht wahr?« Malcolm hatte wieder seinen klaren Blick. »Was Sie besitzen, ist nicht genug. Sie wünschen sich etwas darüber hinaus, habe ich Recht?«
»Natürlich«, sagte Charles. Solche Verallgemeinerungen stimmten immer.
»Das himmlische Reich ist um sie, und die Menschen sehen es nicht.« Ganz im Stil des New Age hatte Malcolm glatt unterschlagen, dass es sich um ein Bibelzitat handelte. »Soll ich Ihnen den Weg zu dem zeigen, was Sie am meisten begehren?«
Das wird dir kaum gelingen, dachte Charles, aber er bedeutete ihm mit einer Handbewegung fortzufahren.
»Sie begehren eine Frau, stimmt’s?« Laurie nickte wie in Beantwortung der eigenen Frage, als habe er auf Charles’ Stirn das Ja in Neonbuchstaben aufleuchten sehen. »Jawohl, eine Frau«, wiederholte Laurie und fuhr in vertraulichem Ton fort: »Die Gefangene in Sheriff Jessops Zelle ist eine schöne Frau, nicht?«
Charles schwieg, aber er wusste, dass Malcolm seine Antwort bekommen hatte. Man merkte ihm an, wie zufrieden er darüber war, dass er Charles’ empfindliche Stelle entdeckt und ihm ein wenn auch unbewusstes Eingeständnis seiner persönlichen Beziehung zu Mallory entlockt hatte.
Wie sollte er da wieder herauskommen, ohne sie mit jeder Änderung seines Gesichtsausdrucks zu verraten? Mallory hatte ihm mal gesagt, dass ungeschickte Täuschung einen Menschen, der etwas zu verbergen hatte, ins Verderben führte. Wörtlich hatte sie ihm erklärt: »Du dürftest ohne einen Sack über dem Kopf überhaupt nicht Poker spielen.«
Einer spontanen Eingebung folgend, lächelte er plötzlich breit. Er wusste, dass er mit diesem Gesichtsausdruck aussah wie ein fröhlicher, aber harmloser Irrer. Es war die einzige Komödie, die er einigermaßen erfolgreich spielen konnte, denn mit diesem närrischen Gesicht war er schon zur Welt gekommen. Jetzt konnte er zum ersten Mal etwas damit anfangen.
»Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen, Mr. Laurie«, sagte er, betont den Vornamen vermeidend. »Attraktive Frauen sind für einen ausgesprochen unattraktiven Mann ja wirklich unerreichbar.«
»Ich wollte nicht …«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Jeder Spiegel schreit es mir ins Gesicht, und ich verstehe Ihre Gedanken sehr gut. Sie haben Recht: In meiner Phantasie sehe ich eine schöne Frau, die ich nie bekommen werde. Aber das hätte bei meinem Anblick wohl jeder erraten. Deshalb ist Ihre Beobachtung zwar zutreffend, aber nicht besonders scharfsinnig.« Und das war die Wahrheit, mächtiger als die Lüge.
Malcolms Lächeln wurde ein wenig schief. »Aber es gibt eine bestimmte Frau, die Sie begehren.« Das klang fast wie eine Frage und lange nicht mehr so selbstsicher.
»New York ist voll von schönen Frauen, von denen nicht eine einzige romantische Anwandlungen bekommt, wenn sie an mich denkt. Vielleicht liegt es an der Nase. So ein Zinken lässt sich nicht so leicht übersehen. Aber ich bin schlechter dran, als Sie denken. Ich verlange auch Intelligenz. Eine Frau, die schön und intelligent zugleich ist, kann auf diesem Planeten jeden Mann haben und wird sich nicht gerade einen hässlichen aussuchen. Sie sehen – ich betrachte die Dinge durchaus realistisch, Mr. Laurie.«
Der lehnte sich zurück, und Charles sah, wie die blauen Augen eine Neubewertung vornahmen und sich für einen anderen Kurs entschieden. »Ich glaube, ich habe das Problem isoliert. Ihr Feind ist Ihr Ego. Es nimmt die Reaktion zu allem, was Sie tun, schon voraus. Es erzeugt Angst und bremst Ihren Vorwärtsdrang.«
»Damit muss ich sowieso vorsichtig sein. Es wäre mir sehr unangenehm, eine Frau mit meiner Nase niederzuschlagen.«
Diesmal lächelte Malcolm ganz spontan. »Sie meinen also, Sie würden diese Frau nur durch ein
Weitere Kostenlose Bücher