Der steinerne Engel
Wunder erringen können?«
»So könnte man sagen.«
»Was für ein Zufall. Wunder sind mein Geschäft.«
»Geschäfte haben ihren Preis.«
»Sie sind mir sympathisch, Mr. Butler. Ihr Geld nützt mir nichts. Ich werde dafür sorgen, dass Sie bekommen, was Sie wollen.« Malcolm schlug mit einer Hand leicht auf den Tisch. Er lächelte absichtsvoll und krempelte sich, bildlich gesprochen, die Ärmel hoch, um ernsthaft ans Werk zu gehen. »Vergessen Sie die Vergangenheit und jeden Fehlschlag, jede Abweisung. Denken Sie nicht an die Zukunft.« Die Befehle wurden leise gesprochen, aber es waren Befehle. »Leben Sie für den Augenblick, überlassen Sie sich dem Jetzt, dann können Sie Ihre Probleme mit einigem Abstand betrachten.«
Abstand? Sein größtes Problem hatte er mitten im Gesicht.
Malcolm folgte Charles’ Blick und sagte: »Ich meine nicht Ihre Nase, sondern die Frau.«
Malcolm war offenbar zu der Überzeugung gelangt, dass sein selbst gestricktes indisches Zwölf-Stufen-Programm zu universeller Einsicht in diesem Fall nicht recht anwendbar war, denn er legte die verschränkten Arme auf den Tisch, beugte sich vor und begann ein Gespräch, das sich wie eine Verschwörung zweier Männer gegen das andere Geschlecht ausnahm. Eine schöne Frau hatte laut Malcolm in Bezug auf Männer gewisse Vorstellungen: sie erwartete von ihnen Aufmerksamkeit und Bewunderung bis hin zu hündischer Unterwerfung.
»Sie müssen vermeiden, dass die Frau Sie durchschaut. Sie erwartet, dass Sie ihr nachlaufen«, erklärte Malcolm. »Tun Sie’s nicht. Wenn Sie sich umdrehen und einfach weggehen, flippt sie erst mal aus, und dann kommt sie zu Ihnen.«
»Aber warum?«
»Weil Sie plötzlich für sie unerreichbar werden. Dann denkt sie, dass Sie etwas an ihr auszusetzen haben, und sie wird nicht eher ruhen, bis sie rausbekommen hat, was es ist.«
»Indem ich mich von ihr wegbewege, ziehe ich sie also an?«
Malcolm nickte. »Und bedenken Sie, dass eine schöne Frau nicht mit Fehlschlägen umgehen kann. Das haben Sie ihr voraus.«
»Und damit sind meine Nachteile zu Vorteilen geworden.« Charles fand Spaß an der Sache. Ob als Jugendlicher unter Studenten, ob als Erwachsener in den Denkfabriken – noch nie war ihm jemand begegnet, mit dem er ein kompetentes Gespräch über Frauen hätte führen können. Seine besten Freunde hatte er spät im Leben kennen gelernt, zu spät für Halbwüchsigendebatten über die Kunst, sich eine Frau zu angeln.
»Na schön«, sagte Charles. »Jetzt läuft sie also mir nach. Wie schließe ich die Lücke, ohne dass ihr Vorwärtsdrang zum Rückwärtsgang wird?«
»Überlassen Sie das ihr. Es sind die Frauen, die die Verträge schließen, die Regeln festlegen, die Beziehungen definieren. Das ist Frauensache. Ihre Aufgabe ist es, ihr widerstrebend zu gestatten, sich an Sie zu binden. Wenn die Frau Sie abschleppt, denken Sie dran: Sie tun ihr nur den Gefallen, um nicht unhöflich zu sein.«
All das war gut durchdacht, aber war es auf Mallory anwendbar? Irgendeine Fehlentwicklung in ihrer Psyche hatte einen Zerrspiegel hervorgebracht, in dem die Vorstellung von den Erwartungen einer schönen Frau eiskalt und sachlich zunichte gemacht wurden. Sein Verhalten allerdings war für sie noch immer vorhersehbar, denn wann immer sie sich umdrehte, war er, Charles Butler, hinter ihr. Vielleicht hatte sie ihm deshalb in New York nichts von ihren Reiseplänen erzählt. Sie konnte davon ausgehen, dass er ihr folgen und mit seinem offenen Gesicht all ihre Geheimnisse verraten würde.
»Sie haben gewisse Zweifel, Mr. Butler?«
Charles sah den Gedankenleser an, der genau genommen wohl ein Gesichtsleser war. Offenbar hatte eine hochgezogene Braue seinen Zweifel verraten, den er mit seinem gesenktem Blick noch betont hatte. Er nahm seine Zuflucht zu dem Trick, den der alte Zauberer Substitution genannt hatte. »Was wollen Ihrer Meinung nach die Frauen wirklich, Mr. Laurie?«
»Spielt keine Rolle.« Malcolm Laurie grinste. »Wenn Sie das richtig hinkriegen, werden Sie sich nie wieder mit dieser Frage herumschlagen müssen.«
Gegen seinen Willen und besseres Wissen fand Charles diesen Mann sympathisch. Er fühlte sich zu Malcolm hingezogen, sein Charisma erinnerte ihn an Louis Markowitz, der oft genug innerhalb kürzester Zeit jede Fremdheit hatte vergessen und seinen Gesprächspartner zum Freund hatte werden lassen. Charles nahm sich vor, seine nächste wissenschaftliche Abhandlung über Charme als außergewöhnliche
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