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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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Augusta öffnete die kleine Tür zwischen den beiden Treppen. »Malcolm wird Ihnen ein Bild vom Paradies zeigen, das so wirklich scheint, dass Sie darin eine Weile leben können. Sie werden verzaubert sein – und dankbar.«
    Sie sah ihn an, als hätte sie das Gespräch vom Vormittag belauscht, und schüttelte missbilligend den Kopf über das, was seine Züge ihr verrieten. Dann marschierte sie ins Haus und durch den Flur in die Küche. Er folgte ihr so brav, wie der Gaul ihr gefolgt war.
    Sie ging zum Herd, und er sah, als sie weitersprach, nur ihren Rücken. »Dann wird er Sie um etwas bitten, das in Ihren Augen im Vergleich zu dem, was er Ihnen an Mond und Sternen geschenkt hat, eine Kleinigkeit sein dürfte, und Sie werden es ihm bereitwillig geben.« Sie schaltete den Herd ein. »So fängt es an, und das ist – auch wenn Sie mit dem Mann nicht ins Bett gehen – eine Vereinigung. Wenn Sie ihm dieses erste Mal nachgeben, ist das die bedingungslose Kapitulation.«
    Jetzt drehte sie sich um und unterstrich ihre Worte mit geschwenktem Kochlöffel. »Sie werden auf dem Rücken liegen und ihm zärtlich und vertrauensvoll ins Gesicht sehen. In diesem Augenblick kann er mit Ihnen machen, was er will – und Sie wollen, dass er es tut. Deshalb noch einmal meine Warnung, Charles: Verlieben Sie sich nicht in den Mann!«
    Charles zuckte ein wenig bei dieser so anschaulich geschilderten Vergewaltigungsszene, aber dann nickte er, denn das, wovon sie gesprochen hatte, war ihm ja schon bei Mallory widerfahren.
    Zu spät.
    Er setzte sich an den Tisch und sah zu, wie Augusta in ihrem Topf rührte. Obgleich er das Mittagessen hatte ausfallen lassen, war er gegen den Duft von Huhn, Gemüse und köstlichen unbekannten Gewürzen fast immun. Seine Unruhe hatte den Hunger vertrieben.
    Ein Lichtblick war, dass er Menschen vom Schlag eines Malcolm Laurie nicht zu fürchten brauchte. Mallory, die perfekte Diebin, hatte ihm bereits all das genommen, was ihm wertvoll gewesen war: seinen Stolz, seine Selbstachtung. Er war mehr als tausend Meilen gefahren, um rüde abgewimmelt zu werden. Wenn das nicht erniedrigend war …
    Malcolm hatte Recht. Wenn er Mallory haben wollte, durfte er ihr nicht mehr nachlaufen. Er würde versuchen, sie nicht wieder zu sehen. Das würde sie verwirren, aus der Fassung bringen. Wenn er ihr damit auch nur ein paar schlaflose Minuten bereitete, hatte sie das mehr als verdient.
    Danke, Malcolm.
    Augusta stellte zwei Suppenschalen mit einem dicken Gemüse-Reis-Eintopf auf den Tisch und blickte ihn so durchdringend an, dass er überlegte, ob auch sie versuchte, seine Gedanken zu lesen. War das beginnende Paranoia? Oder waren ihre Fähigkeiten noch bemerkenswerter als die von Malcolm Laurie?
    Nein, es war wohl einfach so, dass ihm Zorn, Groll und sein neuester Entschluss an der Nasenspitze abzulesen waren. Augusta, die Menschenkennerin, sah, wie er langsam, aber sicher in den gefährlichen Abgrund rutschte, auf den sie ihn gerade erst aufmerksam gemacht hatte. Sie hatte ein großes Warnschild aufgestellt und rechts und links davon Fackeln angezündet, aber er hatte in seiner Blindheit und Torheit nicht darauf geachtet.
    Jetzt besann er sich. »Ich habe verstanden«, sagte er mit Nachdruck. Nein, er würde sich nicht von dem Wanderprediger verführen lassen. Mallory lag ihm am Herzen, sie konnte von ihm haben, was sie wollte, auch wenn sie sich gegen seine Hilfe wehrte. Wäre er in Schwierigkeiten gewesen, hätte Mallory sich nicht anders verhalten. Wie hatte er das vergessen können?
    Um ein Haar wäre er bei Augusta in Ungnade gefallen. Doch nachdem sie gemerkt hatte, dass er wieder seinen Verstand gebrauchte, setzte sie sich zu ihm an den Tisch. In dem freundschaftlichen Schweigen, das jetzt zwischen ihnen herrschte, schwang viel Unausgesprochenes mit. Er bestätigte mit anerkennendem Nicken ihr Wissen um menschliche Verhaltensweisen, sie lächelte zufrieden, weil er – wenn auch mit einiger Verzögerung – so vernünftig gewesen war, ihren Rat anzunehmen.
    Als sie nach dem Essen bei der zweiten Runde Kaffee waren, hatte Charles’ Stimmung sich gehoben, ja, er fühlte sich fast euphorisch.
    Augusta warf ihm über den Rand ihrer Kaffeetasse einen listigen Blick zu. »Jetzt geht es Ihnen bestimmt besser.«
    »Und ob! Ihre Kochkünste haben Wunder gewirkt.«
    Sie nickte. »Besonders das Johanniskraut.«
    »Wie bitte?«
    »Hypericum perforatum .« Sie deutete auf einen der Kräuterpflanzkästen auf den

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