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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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Wandhaken.
    Mallory hatte schon bemerkt, dass der Sheriff seine eigenen Ratschläge nicht befolgte. Während der stundenlangen Befragungen in ihrer Zelle, die sie mit steinernem Gesicht und ohne Regung über sich ergehen ließ, hatte er kein einziges Mal das Holster abgenommen. Sie wartete geduldig. Irgendwann würde er sich in seiner eigenen Schlinge fangen.
    Als kleines Mädchen war dieser Mann mit dem sechsschüssigen Revolver wie der liebe Gott für sie gewesen. Heute Vormittag war er nur noch ein ganz normaler und noch dazu trottelig-verschlampter Mann, der nichts Gottähnliches mehr an sich hatte. Er trug die für die Polizei von Louisiana vorgeschriebene Automatic, während seine Stellvertreterin ganz unvorschriftsmäßig mit einem Revolver Kaliber 0.38 bewaffnet war. Mallory hatte das sehr zufrieden zur Kenntnis genommen. Die Munition passte auch in ihren eigenen Revolver Kaliber.357.
    »Und dann«, sagte der Sheriff gerade zu seiner Stellvertreterin, »fegst du die verdammten Federn da raus, klar?«
    Die junge Frau zog empört die Augenbrauen zusammen und schob die Lippen vor. Vielleicht hatte ihr niemand gesagt, dass ihre Stellenbeschreibung auch Hausmädchenpflichten beinhaltete. »Ich hab die Prüfung als Beste absolviert, in einer Klasse von …«
    »Dass ich nicht lache«, konterte er gereizt. »Deine Polizeiakademie war doch nicht mehr als ein besserer Kindergarten, Mädel!«
    Die Stellvertreterin des Sheriffs war demnach eine blutige Anfängerin, die in einem Sechswochenlehrgang gerade mal gelernt hatte, wie man es anstellt, sich nicht ins Bein zu schießen. Auch die Ausrüstung der jungen Frau war aufschlussreich: Elektroschockgerät, Munition, Taschenlampe, Handschellen, Handy, Schnelllader, Schlagstock. Lilith Beaudare war ausstaffiert wie für einen harten Sondereinsatz und wirkte dennoch wie eine übereifrige Pfadfinderin.
    Mallory blendete die Diskussion vor ihrer Zellentür aus und sah sich stattdessen Deputy Beaudare genau an. Sie hatten in etwa die gleiche Größe und das gleiche Gewicht, Lilith mochte ein paar Jahre jünger sein als sie. Sie wirkte selbstsicher mit ihrer dunklen Haut und bewegte sich lässig und körperbewusst, aber der Sheriff versuchte nach Kräften, sie klein zu machen.
    »Wenn ich wieder rauf komme, will ich in der Zelle keine verdammte Feder mehr sehen.« Er machte eine kleine Tür auf, hinter der ein Schrank mit Putzgeräten und Reinigungsmitteln zum Vorschein kam. Er holte Besen, Kehrschaufel, Wischtuch und einen Müllsack aus Plastik heraus und reichte alles an die Neue weiter, die sich sichtlich in Grund und Boden schämte. »Wir wollen doch mal sehen, wie du diese Aufgabe bewältigst, ehe wir dich aufs organisierte Verbrechen loslassen.«
    Mallory griff sich eine Hand voll Federn, hielt sie an die Lippen und warf dem Sheriff einen Luftkuss zu. Zwei Federn landeten in seinem Haar, andere wippten auf seiner Nase und seinem Kinn. Er zupfte sie bedächtig ab und drückte sie zu dünnen Fäden zusammen.
    Lilith Beaudare hatte alle Mühe, sich das Lachen zu verbeißen.
    Jessop musterte seine Stellvertreterin streng, bis ihre Miene wieder mehr Respekt verriet. »So, Mädel, und jetzt an die Hausarbeit.« Mit schweren Schritten stapfte er den schmalen Gang entlang. Die Tür schlug hinter ihm zu.
    Lilith lehnte den Besen an die Wand des Zellenblocks. Mallory hätte ihn bequem erreichen können.
    Sehr leichtsinnig, Kind!
    Dann wandte sie sich an Mallory. »Wissen Sie, warum der Mistkerl sich einbildet, so mit mir reden zu können?«
    »Weil du eine Frau bist? Oder weil du eine schwarze Haut hast? Rate mal … Mich interessiert das Thema nicht.« Sie streckte die Hand aus.
    Lilith Beaudare ließ sich widerstandslos den Besen wegnehmen. Offenbar war ihr nicht klar, dass ein Besen eine gefährliche Waffe sein, dass Mallory ihr den Besenstiel in den Bauch oder auch in den Hals rammen konnte. Es wäre eine Sache von Sekunden gewesen. Aber gegen Lilith Beaudare hatte Mallory ja nichts.
    »Dass du die Beste in deiner Klasse warst, hättest du ihm nicht sagen dürfen«, meinte Mallory und fing an zu fegen. »Er wird eine Weile daran herumkauen, und irgendwann nach dem Essen wird ihm ein Licht aufgehen.« Sie hatte die Federn am Gitter zu einem Häufchen zusammengefegt und sagte plötzlich in weichem südlichen Tonfall: »Gibst du mir bitte mal die Kehrschaufel?«
    Lilith Beaudare sah Mallory wie gebannt an, während sie ihr die kupferne Kehrschaufel mit den scharfen Kanten reichte,

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