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Der steinerne Engel

Titel: Der steinerne Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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geschafft, dreißig Einheimische zu so einer Tat anzustiften?«
    »Der Vater stammte demnach nicht aus Dayborn?«
    Augusta schüttelte den Kopf. »Cass ist mit achtzehn weggegangen. Als sie zurückkehrte, war sie achtundzwanzig. Die meisten ihrer Altersgenossen sind nicht zurückgekommen, bis auf Tom. Aber der war vier, fünf Jahre vor Cass wieder da.«
    »Ist es denkbar, dass zwischen dem Mord an Cass und dem an Babe eine Verbindung besteht?«
    »Unwahrscheinlich. Cass hatte keine Feinde. Ihr Tod war ein echtes Rätsel. Babe war ein so mieser Kerl, dass sich keiner gewundert hat, als er eines Tages tot aufgefunden wurde.« Sie machte eine ungeduldige Handbewegung. Das Thema schien sie zu langweilen. »Was haben Sie jetzt vor, Charles?«
    Er zögerte einen Augenblick. Da sie ihn ins Vertrauen gezogen hatte, was den Alligator betraf, war wohl auch sein Geheimnis bei ihr gut aufgehoben.
    »Ich gebe mein Zimmer in Bettys Hotel auf. Henry hat mir angeboten, bei ihm zu wohnen, aber er möchte nicht, dass sich das herumspricht.«
    Augusta nickte gleichmütig. »Dann haben Sie ja noch ein bisschen Zeit und können mit mir essen. Ich will nur den Gaul in seine Box sperren. Es ist alles fertig, ich muss es nur noch mal auf den Herd stellen.«
    »Danke.«
    »Und danach schicke ich Sie in Earls Gemischtwarenhandlung. Earl hat bestimmt Jeans, die Ihnen passen. Ein Paar kräftige Stiefel könnten Sie auch gebrauchen.«
    Zusammen gingen sie über den morastigen Boden, der mit jedem Schritt zum Haus trockener und fester wurde. Trebec House war nur über den Weg vom Friedhof her zu erreichen. Das Gelände rings um das Haus war für einen Wagen, der nicht an kleine Seen mitten im Gras und Glitsch und Glibber unter den Reifen gewöhnt war, kaum zu bewältigen. Und zu Cass Shelleys Haus führte nur diese eine Straße, dahinter lagen Sümpfe und der Bayou. »Der Mörder hat wohl die Leiche von Cass mit einem Fahrzeug weggeschafft.«
    »Im Moor hat er sie jedenfalls nicht deponiert. Wer hier eine Leiche verstecken will, den begrüßt sie früher oder später mit einem freundlichen ›Hier bin ich wieder‹.«
    »Wäre es denn denkbar, dass Cass überlebt hat?«
    »Völlig ausgeschlossen bei dem vielen Blut«, erklärte Augusta nachdrücklich. »Tom Jessop hatte ja sogar Kathy für tot gehalten. Cass kann unmöglich noch am Leben sein.« Und leise drohend fügte sie hinzu: »Und dass Sie ja nicht auf die Idee kommen, ihrer Tochter diesen Floh ins Ohr zu setzen!«
    Cassandra Shelleys Tochter wandte sich nach Norden, wo, versteckt hinter Eichen, Trebec House lag. Über den Wipfeln war nur das runde Dachfenster zu sehen. In der Scheibe spiegelten sich Wolken, die Bewegung hinter dem Fenster vorgaukelten.
    Mallory ging mit dem toten Hund in das dichte Buschwerk hinter dem Haus ihrer Mutter, wo sie vor Blicken aus dem dunklen Fenster des Herrenhauses geschützt war. Als Kind hatte sie fest daran geglaubt, dass dieses runde Auge sie beobachtete, und auch jetzt wurde sie die Vorstellung nicht los.
    Sie setzte sich neben ihren Hund und streichelte das Fell, das voller Narben war und sich noch warm anfühlte. Diesen letzten Hauch von Leben unter ihrer Hand empfand sie als tröstlich. Sie vermied es, ihm in die Augen zu sehen, denn die waren schon trüb geworden.
    Braver Hund.
    Aufmerksam horchte sie auf jeden Laut, jede Bewegung in den Bäumen und im Gras. Vögel sangen, Insekten schwirrten, das helle Blau des Himmels verdunkelte sich allmählich. Sie hörte den schmalen Wasserlauf am Haus vorbeifließen, über Steine strudeln, an einen schwimmenden Ast schlagen, an Zweigen zupfen wie an den Saiten eines Instruments.
    Durch das Fenster hinter ihr kam gespenstische Musik – eine schlichte Melodie, wie sie Kinder in der Klavierstunde spielen mochten. Als sie sich umwandte, sah sie vor ihrem geistigen Auge eine Frau am Fenster, eine Frau, die ihr sehr ähnlich war. Doch in einer Beziehung unterschieden sich die Gesichter. Mallorys Lächeln war stets gezwungen, die Mutter dort am Fenster lachte heiter und unbefangen. Ihre Augen leuchteten wie grüne Sterne, als sie ihre kleine Tochter, die bald siebenjährige Kathy, entdeckte. Mallory hob die Hand, und die Phantasiegestalt am Fenster winkte. Aber das Weiterträumen kostete zu viel Mühe. Die Frau verschwand, und sie war wieder allein.
    Die Erinnerung an Horror und Gewalt war hartnäckiger. Mallory sah, wie ihre Mutter mit blutverklebtem Haar über den Fußboden auf ihre kleine Kathy zu kroch, sie in

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