Der Steinwandler pyramiden2
sein Gleichgewicht.
Boaz hatte noch immer kein Wort gesagt. Sein Gesicht trug einen verblüfften Ausdruck, während er auf seine Hände starrte, die er vor seinen Leib gepreßt hatte. Zwischen den Fingern sickerte Blut hervor.
»Boaz!« jammerte ich erneut. »Isphet, tu etwas!«
»Dumm, dumm, dumm«, murmelte sie, und ich glaube, sie meinte damit das ganze Leben, nicht nur die Tragödie, die sich da vor unseren Augen abspielte. »Dumm! Tirzah, nimm seine Hände dort fort, halte sie fest. Ich muß sehen können…«
Sie riß an seinem Gewand, benutzte das kleine Messer, das wir zum Fischausnehmen genommen hatten, um den Stoff wegzuschneiden. »Kiath! Zerreiß etwas für Verbände. Los, schnell!«
Isphet entblößte Boaz’ Bauch, und ich unterdrückte einen Aufschrei. Yaqob hatte ein kleines Stück neben dem Nabel zugestochen, eine glatte Wunde, die heftig blutete.
Boaz stöhnte, als der erste Schmerz den Schock ablöste.
»Isphet!« wimmerte ich, und sie drehte sich um und schlug mir fest ins Gesicht.
»Sei ruhig, Mädchen! Dein Gejammer kann ich jetzt nicht auch noch hören!«
Sie untersuchte schnell den Einstich, dann nahm sie das Verbandszeug, das Kiath ihr reichte. »Im Moment kann ich nicht viel tun, Exzellenz… Boaz… außer die Blutung zu stillen. Später untersuche ich die Wunde genauer. Sehe nach, wie groß der Schaden ist. Aber eine Wunde im Leib…«
Sie brauchte keinem von uns zu sagen, wie gefährlich das war. »Es kommt darauf an, was Yaqob getroffen hat. Tirzah, hilf ihm, sich aufzusetzen, ich muß das um ihn herumwickeln.
Gut.«
Boaz grunzte, als ich ihn nach vorn setzte, dann seufzte er erleichtert auf, als Isphet fertig war. »Isphet«, sagte er mit einer Stimme, die vor Schmerzen immer heiserer wurde.
»Schaff Tirzah hier weg, falls…«
»Ich verlasse dich nicht!« sagte ich. »Niemals!«
»Noch geht niemand irgendwo hin«, sagte Isphet. »Tirzah, drück da… ja, das ist gut. Halt diesen Druck aufrecht. Es wird helfen, die Blutung zum Stillstand zu bringen.«
Sie ließ sich wieder auf ihre Fersen nieder; ihr Gesicht war blaß und am Kinn blutbeschmiert, wo sie es mit der Hand berührt hatte. Ihr Blick huschte zwischen Boaz und mir hin und her. »Es hat den Anschein«, sagte sie leise, »als ob sich Yaqob über mehr Sorgen machen muß als über die Frage, ob der Magier seinen Aufstand verhindern will.«
»Ich liebe Boaz, Isphet. Schon seit Monaten.«
»Dann ist es eine Schande, daß du Yaqob nicht gesagt hast, daß deine Zuneigung für ihn erloschen ist, Tirzah! Er ist ein zu guter Mann und ist auch zu dir zu gut gewesen, um so behandelt zu werden. Du hast ihm die Hoffnung und einen Traum gegeben, um viele finstere Tage zu überstehen. Jetzt…«
Sie sah Boaz voller Abscheu an. »Jetzt wird ihn diese Erkenntnis schwer treffen.«
»Dann hoffe ich, er läßt es nicht wieder an mir aus«, murmelte Boaz, und seine Hand deutete zitternd auf den blutgetränkten Verband um seinen Bauch, »wenn das hier bloß das Resultat einer leichten Verstimmung war.«
»Ruh dich aus«, sagte Isphet abrupt und stand auf, ging zur anderen Seite des Raumes und ließ sich auf ihre Pritsche sinken. Ihr Blick ließ uns dabei keinen Augenblick los.
»Boaz?« flüsterte ich. »Boaz?«
»Hmm?« Er verlor immer wieder das Bewußtsein.
»Boaz, verlaß mich nicht.«
»Vielleicht hatte Isphet recht. Yaqob wäre besser für dich… nach all dem, was ich getan habe… Yaqob wäre besser…«
»Boaz«, flüsterte ich. »Verlaß mich nicht!«
Wir saßen eine Stunde oder länger da und warteten, ohne zu wissen, worauf wir warteten. Kiamet und Holdat saßen neben Boaz, genauso hilflos wie ich, aber ihre Anwesenheit gab mir Kraft.
Schließlich stand Isphet auf und kam zu uns herüber. Boaz schlief jetzt – oder war bewußtlos – und sie befahl mir, den Druck auf seinen Bauch zu lockern.
»Er hat dich mit seiner Macht innerlich zerrissen, Tirzah«, flüsterte sie. »Und jetzt erleidet er Ähnliches. Ich halte das nicht für einen Zufall.« Und damit ging sie wieder.
Ich senkte den Kopf und weinte, erinnerte mich an das, was die Soulenai mir gesagt hatten.
Tirzah, wenn jemand einer anderen Person einen solchen Schmerz zufügt, dann wird dieser Schmerz eines Tages auf ihn zurückfallen. Das ist der Preis, den er schließlich zahlen muß.
»Nein, bitte nicht«, flüsterte ich. Aber es war zu spät. Ich konnte nur hoffen, daß der Preis, den er zahlen mußte, nicht zu hoch sein würde.
Die Zeit verging,
Weitere Kostenlose Bücher