Der Steinwandler pyramiden2
wir hätten diese zeternde Frau einfach ihrem Schicksal überlassen.
Ich rannte aus der Residenz, dann durch die Magiersiedlung und nach Gesholme hinein. Zabrze keuchte hinter mir her.
Stell sie auf die Beine und laß sie selbst laufen, dachte ich, aber das hätte uns nur behindert, denn ich wußte, daß Neuf sich dann weigern würde, auch nur einen Schritt zu tun, der sie näher an den Fluß heranbringen würde.
In den Straßen herrschte jetzt wieder mehr Ruhe. Selbst der Rauch trieb fort, auch wenn ich irgendwo noch Flammen prasseln hören konnte.
Ich blieb beunruhigt stehen. »Zabrze…«
»Hör zu«, keuchte er und blieb kurz neben mir stehen. »Es ist fast Mittag, und ich will so weit weg wie möglich von der Pyramide sein. Komm schon, Mädchen, ich will leben.«
Und so liefen wir.
Niemand hielt uns auf, obwohl wir an einigen Einheiten von Soldaten vorbeikamen, die meiner Ansicht nach mit Chad Nezzar und der Pyramide verbündet waren. Aber sie starrten wie gebannt an uns vorbei – auf die Pyramide.
»Nicht hinsehen, Tirzah«, sagte Zabrze und bedeckte die Augen der protestierenden Neuf mit der Hand. »Sieh bloß nicht hin.«
Ich hatte nicht vor, dorthin zu sehen, und führte uns in eine Reihe schmaler, dunkler Gassen, die uns zum Fluß bringen würden, und zwar außer Sicht dessen, was auch immer geschehen würde.
Wir legten gerade die letzten hundert Schritt zurück, als die Pyramide erbebte.
Ein greller Blitz zuckte auf, der Zabrze und mich in den Straßenstaub schleuderte. Die Sonne mußte ihren höchsten Stand erreicht haben. Sie goß ihre Kraft durch den Schlußstein in die Kammer zur Unendlichkeit und lud die Pyramide mit Macht auf. Ich konnte mir vorstellen, was geschah – die ganze Pyramide explodierte in einen Lichtschwall. Jeder, der sie betrachtete, war sicherlich eine Zeitlang geblendet.
Die Brücke zum Tal war geschlagen. Es war vollendet.
Und etwas Unnennbares kam über sie herüber.
Die Stille, die über der Baustelle hing, war jetzt so greifbar, daß ich fühlen konnte, wie sie auf mir lastete, versuchte, mich auf den Boden zu drücken. Zabrze hielt noch immer Neuf auf seinen Armen – jetzt protestierte sie nicht mehr –, und er und ich kämpften gegen den Druck an, krochen auf die nördliche Gassenmauer zu, beteten, daß das Grauen, das aus der Pyramide kroch, uns nicht sah.
Seht mich an, ihr Erdenwürmer, und seht euren Gott!
Ich wimmerte vor Entsetzen. Die Stimme hatte jede Mauer durchdrungen – doch völlig lautlos.
»Tirzah!« flüsterte Zabrze. »Bitte, wir haben es fast geschafft!«
Ich stemmte mich auf Hände und Knie und kroch ein paar Schrittlängen weiter.
Seht mich an, ihr elenden Geschöpfe, und erzittert bei der Stimme eueres Gottes!
Und die Pyramide donnerte und brüllte.
Mir wurde immer übler, und ich hörte Zabrze ein paar Schritte vor mir aufschluchzen. Neuf war bewußtlos und hing leblos in seinen Armen. Ich kroch zu ihm, und er legte einen Arm von Neuf um mich, und wir lagen dort, während der furchtbare Laut um uns und durch uns brüllte.
Seht mich an, Männer und Trauen, und erkennt euren Gott!
Wisset, daß ich die Eins bin, und wisset, daß mein Name Nzame ist!
»Nzame?« flüsterte Zabrze. »Konnte er sich nichts Besseres ausdenken?«
Ich hätte gelacht, aber ich mußte zu sehr weinen. Zabrzes Worte hatten den Bann gebrochen, und irgendwie gelang es uns, wieder auf die Füße zu kommen. Neuf stöhnte leise in den Armen ihres Gemahls, und er stolperte mit ihr die Gasse entlang in Richtung Lhyl. Hinter uns sprach die Pyramide weiter.
Seht meine Macht und unterwerft euch!
Zu meiner Rechten sah ich die Prachtallee, auf der Hunderte Menschen auf Knien zur Pyramide krochen.
Kommt demütig zu eurem Gott, und euch wird unvorstellbare Macht gehören.
»Nzame! Nzame!« Tausende nahmen den Ruf auf.
Und dann blieb ich ungläubig stehen. Chad Nezzar eilte die Allee entlang auf die Pyramide zu und schrie dabei aus vollem Hals.
»Nzame! Ich bin Euer! Nehmt mich!«
Unterwegs riß er Hände voll Juwelen und Armreifen und Ketten ab und warf sie fort. »Nzame! Nzame!«
Als er die Juwelen und Ketten aus seinem Körper riß, riß er auch Wunden, aber Chad Nezzar merkte es in seiner Ekstase nicht. »Nzame! Nzame! Ich bin Dein! Auf ewig Dein!«
Zabrze packte grob mein Haar und riß mich von dem Anblick fort.
Kommt zu mir und betet mich an!
»Ja! Ja!« Die Rufe hallten durch die Straßen.
Gebt alles, was ihr habt, und die Unendlichkeit soll Euer
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