Der Steinwandler pyramiden2
länger. Ich hatte nichts zu verlieren. Das Licht verblich – oder veränderte sich, ich kann es nicht mit Sicherheit sagen –, in dem Augenblick, in dem ich eintrat. Es war noch immer so hell, daß ich mühelos sehen konnte.
Ich drehte mich langsam um. Die Kammer war leer. Und das Glas funkelte fröhlich. Isphet stürzte herein, ihre Brust hob und senkte sich. »Und nun?«
Ich gab keine Antwort, sondern trat an eine der Wände und legte die Hand auf das Glas. Was auch immer es jemals zu Schreien der Qual veranlaßt hatte – Nzames Einfluß aus dem Tal war verschwunden. Die Brücke ins Tal war zerstört.
Ich holte tief Luft, hörte dem Glas zu. Es war jetzt glücklich, genoß seine Schönheit.
Isphet legte neben mir die Hände auf das Glas.
»Sagt uns, was geschehen ist«, flüsterte sie, und das Glas gehorchte.
Es hatte einen großen Kampf gegeben. Ein Mann war eingetreten und hatte mit Nzame gerungen. Da war viel Schmerz gewesen, viel Gebrüll.
Und der Mann hatte die Brücke in die Unendlichkeit betreten.
»Und dann?« flüsterte ich. »Und dann?«
Dann waren der Mann und Nzame verschwunden. Einfach verschwunden.
»Hat Boaz Nzame mit in die Unendlichkeit genommen?«
fragte ich flüsternd; meine Hände drückten so stark auf das Glas, daß seine Kanten in meine Handfläche und die Finger schnitten.
Das Glas vermutete es. Boaz war nicht mehr da, nicht wahr?
Und es konnte Nzame nicht mehr fühlen.
»Wurde… wurde eine Brücke an einen anderen Ort erschaffen?« wollte ich wissen. »Zu irgend jemandem?«
Das Glas war verwirrt. Wovon sprach ich?
Isphet wandte den Blick von dem Glas ab und sah mich an.
»Könnte es sein, daß Nzame… anderswo hin ist… als in die Unendlichkeit?«
Das Glas kümmerte das nicht. Er war fort. Das war das Wichtigste. Es plauderte glücklich mit sich selbst und achtete nicht mehr auf meine Fragen.
»Tirzah«, sagte Isphet. »Komm jetzt. Es ist vorbei. Er ist gegangen. Komm weg hier.«
Und sie redete weiter leise auf mich ein und zog mich aus der Kammer zur Unendlichkeit hinaus.
22
»Er ist weg. Sie sind beide weg«, sagte Isphet zu Zabrze. »Es ist vorbei.« War es das wirklich? Unwillkürlich legte ich die Hand auf den Bauch.
Zabrze wandte sich kurz ab; er hatte einen Bruder verloren, so wie ich meinen Gemahl verloren hatte. »Sollen wir jetzt nach Setkoth zurückkehren?« sagte er schließlich.
»Ja«, erwiderte Isphet. »Wir müssen Tirzah… wir alle müssen hier weg.«
»Ich werde die Soldaten in Arbeitsgruppen einteilen«, sagte Zabrze, »und dieses Ding…«
»Nein!« Ich riß mich von Isphet los. »Nein«, wiederholte ich beherrschter. »Zabrze, bitte, laß sie jetzt noch in Ruhe. Boaz könnte zurückkehren. Die Pyramide soll intakt bleiben, für alle Fälle.«
Mir war klar, daß das ein schwaches Argument war, aber ich wollte nicht, daß die Kammer zur Unendlichkeit zerstört wurde. Noch nicht.
»Tirzah, das darf ich nicht. Sie ist vollendet und zu gefährlich. Ich werde befehlen, daß man den Schlußstein entfernt, aber nicht zerstört. Und der Eingang muß zugemauert werden. Falls nötig kann man das wieder rückgängig machen.
Aber ich werde sie nicht so lassen, damit sich dort etwas anderes einnisten kann!«
Ich nickte. Er hatte recht.
»Tirzah.« Isphet drückte mich an sich. »Wenn wir in Setkoth sind, werden wir in die Zuflucht im Jenseits schauen. Das wird dir vielleicht Trost spenden.«
Ja, und vielleicht konnte Boaz’ Schatten mir verraten… mir einen Hinweis geben… Ich fühlte mich unbehaglich, und ich fragte mich, ob ich der Schwangerschaftsübelkeit doch nicht entgangen war.
Nzame war gegangen – irgendwohin –, aber war er auch weit genug fort, damit sich die Verzauberung des Landes und der Menschen auflösen konnte? Stein zerbrach; Steinmänner verwandelten sich in Menschen zurück und wanderten doch genauso ziellos herum, wie sie es zuvor getan hatten. Als Isphet und ich an Deck des Flußschiffes standen und zusahen, wie das Ufer an uns vorbeiglitt, wurde uns klar, daß wir beide noch viel Zeit damit verbringen mußten, um Land und Leuten zu helfen. Das Leben war zurückgekehrt, aber es war trübselig und verwirrt.
Man würde mir nicht viel Zeit zur Trauer lassen.
»Vielleicht können wir Yaqob eine Nachricht zukommen lassen«, sagte Isphet. »Wir werden seine Hilfe brauchen.«
»Vielleicht.«
»Und diese zehntausend früheren Steinmänner wandern jetzt befreit auf der Ebene zwischen Setkoth und der Grenze von Darsis
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