Der sterbende Detektiv - Roman
ihr neues Leben zu machen. Es gelang ihnen jedoch nicht, sie ausfindig zu machen. Sie war spurlos verschwunden. Davon handelte dann auch der Artikel. War sie untergetaucht oder hatte das unversöhnliche, totalitäre Regime sie umgebracht?
Weder das schwedische Außenministerium noch die schwedische Botschaft in Teheran hatten diese Frage klären können. Da sie vor Verlassen Schwedens ihre schwedische Staatsbürgerschaft zurückgegeben hatte, hatte sich das Außenministerium nicht zuständig gefühlt. Maryam Ermegan war für sie ein »abgeschlossener Fall, außerhalb schwedischer Gerichtsbarkeit«.
Der schwedische Botschafter in Teheran hatte sich geweigert, Fragen über sie zu beantworten. Und dies aus gutem Grund, denn Maryam Ermegan war aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft eine interne Angelegenheit Irans und der iranischen Behörden.
»Glauben Sie, dass sie sie ermordet haben?«, fragte Matilda neugierig. »Ich meine, diese Ayatollahs?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Johansson. Was das wieder für eine Rolle spielen soll, dachte er, da Maryams Leben im Wesentlichen am Morgen des 22. Juni 1985 geendet hatte, als die Polizei Solna an ihrer Tür klingelte, um ihr mitzuteilen, man habe ihre Tochter gefunden. Sie sei tot und höchstwahrscheinlich ermordet worden. Die übrigen Details hatte man ihr erspart. Die Abendzeitungen waren dann nicht so zartfühlend gewesen.
»Sie wissen es nicht?«, fragte Matilda. »Was soll das heißen, Sie wissen es nicht? Ist es Ihnen etwa egal?«
»Ganz und gar nicht«, meinte Johansson. »Es ist mir überhaupt nicht egal. Das, was davor geschah, bekümmert mich jedoch am meisten.« Maryam Ermegans Anrecht auf ein menschenwürdiges Leben. Darauf, nicht Dingen ausgesetzt zu sein, denen man nie jemand anderen aussetzen würde, dachte er. All das, wovor Leute wie er sie hätten schützen sollen oder wofür sie ihr Genugtuung hätten verschaffen sollen, wenn Ersteres eben doch nicht gelungen war.
»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte Matilda. »Das ist einfach zu viel. Wenn ich näher darüber nachdenke, dann würde ich dieses Schwein auch umbringen können.«
»Neugierige Frage«, meinte Johansson. »Ihnen ist nie etwas zugestoßen, als Sie jünger waren? Oder Ihren Freundinnen? Irgendwas mit Männern? Jemand, der versucht hat, Sie auszunutzen, Sie niedergerungen hat, oder noch Schlimmeres?«
»So was haben vermutlich alle Frauen erlebt«, meinte Matilda.
»Vielleicht nicht alle, aber fast alle«, fuhr sie dann fort. »Alle wie ich jedenfalls.«
»Erzählen Sie«, sagte Johansson. Ein Glück, dass Pia dich nicht hört, dachte er.
»Vor vielen Jahren, als ich ein ganz normaler Teenager war, war ich mal mit vielen Leuten auf einer Party. Da war auch so ein Typ, der in dieselbe Klasse ging wie ich, wir waren befreundet, aber nie zusammen gewesen. Der drehte plötzlich durch, schleppte mich in ein Zimmer und fickte mich in den Mund. Er sagte, wenn ich nicht tue, was er sagt, dann würde er mich totschlagen.«
»Sie haben sich also nicht gewehrt?«, fragte Johansson.
»Nicht gewehrt, nein.« Matilda zuckte mit den Achseln. »Ich war schließlich fast genauso betrunken wie er, und er war doppelt so stark.«
»Was haben Sie dann getan?«
»Nichts«, antwortete Matilda. »Was hätte ich Ihrer Meinung nach schon tun können? Zu den Bullen gehen, damit an der ganzen Schule über mich geredet wird? Einen Vater hatte ich ja keinen, und große Brüder auch nicht, die ihn hätten zusammenschlagen können.«
»Und das war das einzige Mal?«, fragte Johansson.
»Sie machen wohl Witze?«, erwiderte Matilda.
»Nein«, meinte Johansson. »Erzählen Sie.«
»All die Male, wo ein Typ einen rumgekriegt hat. Geredet und rumgemacht, bis man so erledigt war, dass man einfach die Zähne zusammengebissen und es hinter sich gebracht hat. Haben Sie so was nie gemacht?«
»Nein«, meinte Johansson. »In der Tat nie.« So was habe ich wirklich nie getan, dachte er.
»Ich glaube Ihnen«, sagte Matilda. »Sie gehören zu den Leuten, die auch so alles kriegen. Die nicht lange um etwas bitten müssen. Darüber können Sie wirklich verdammt
froh sein. Das gibt es nicht so häufig, das kann ich Ihnen sagen. Es wäre interessant gewesen, Ihre Mutter kennenzulernen. «
»Meine Mutter war eine sehr gute Frau«, sagte Johansson. Elna war ein guter Mensch, dachte er. Und zwar so gut, dass sie mich meine Entscheidungen selbst hat treffen lassen. »Sie war immer für mich da gewesen, hat sich aber nie
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