Der sterbende Detektiv - Roman
zu sorgen, mit dem Unerträglichen leben zu können?
»Du kannst es ja wohl kaum auf sich beruhen lassen. Ich
meine, das wäre ja schrecklich. Das sähe dir auch nicht ähnlich, Lars.«
»Rein rechtlich gesehen, kann ich nicht das Geringste unternehmen. Seit einem Monat ist er nicht mehr zu belangen. Der Mord an Yasmine verjährte am 21. Juni. An diesem Tag waren fünfundzwanzig Jahre vergangen, seit man ihre Leiche gefunden hatte. Die einzige Hoffnung ist, dass er sich etwas hat zuschulden kommen lassen, was noch nicht verjährt ist und was ich ihm nachweisen kann. Aber ehrlich gesagt, glaube ich selbst nicht richtig daran.«
»Und wenn du dich an die Zeitungen wendest?«
»Wenn ich mich an die Zeitungen wende, dann ist er tot. Ich glaube, er hätte keine Gelegenheit, mich zu verklagen, ehe ihn irgendein Irrer totgeschlagen hätte. Vogelfrei«, meinte Johansson mit einem schiefen Lächeln.
»Du weißt, wer Yasmines Vater ist?«, fragte Pia.
»Natürlich«, erwiderte Johansson erstaunt. »Aber ich wusste nicht, dass du das auch weißt.«
»Doch. Alle, die mit Geld zu tun haben, wissen, wer Joseph Simon ist. Als mir klar wurde, was du tust, habe ich meine Kenntnisse im Internet etwas aufgefrischt. Die Geschichte ist ja wirklich vollkommen widerlich.«
»Fräulein Naseweis, mein eigenes Fräulein Naseweis«, sagte Johansson und fand, dass ihm diese Bemerkung durchaus zustand.
»Was hast du jetzt vor?«
»Ich weiß nicht«, sagte Johansson. »Ich weiß nicht. Ich will das Blut von diesem Schwein nicht an meinen Händen haben, dazu will ich mich ganz einfach nicht herablassen.«
»Wenn ich dir irgendwie behilflich sein kann …«
»Ich fürchte, dass das nicht geht«, sagte Johansson. »Ich muss nachdenken«, meinte er und schüttelte den Kopf.
»Solange es dich nicht auch noch umbringt.«
»Nein«, sagte Johansson. »Wo kämen wir da hin?« Dann umarmte er sie. Mit seinem rechten Arm, der trotz seiner Kopfschmerzen und des Drucks auf seiner Brust mit jedem Tag stärker wurde. Kommt Zeit, kommt Rat, dachte er.
72
Montagvormittag des 9. August 2010
Am Montagmorgen trat eine muntere Matilda in sein Arbeitszimmer, noch ehe er gefrühstückt hatte.
»Dieser Joseph Simon«, sagte Matilda, »den ich für Sie googeln sollte, Chef.«
»Und?«, sagte Johansson. »Was ist mit ihm?« Googeln, dachte er.
»Er hatte damals auch eine Frau. Also Yasmines Mutter. Sie hieß Maryam Ermegan. Kam ebenfalls aus dem Iran. Sie wurden 1986 geschieden, im Jahr nach dem Mord an Yasmine.«
»Ich weiß«, sagte Johansson. »Und was ist mit ihr?«
»Ich habe sie ebenfalls gegoogelt. Und zwar jetzt am Wochenende. Ich hatte gerade nichts Besseres zu tun.«
»Erzählen Sie«, sagte Johansson.
Einige Jahre nach dem Mord an ihrer Tochter konvertierte Maryam Ermegan zum Islam. Sie schrieb in schwedischen Zeitungen mehrere Artikel, in denen sie das Frauenbild des Islam verteidigte. Sie verglich es mit dem liberalen, westlichen Frauenbild, dessen pragmatischer Einstellung zur emotionalen und sexuellen Freiheit und zur Emanzipation der Frau von Mann und Familie. Sie behauptete, dass es dabei gar nicht um die Gleichstellung von Frauen und Männern
gehe, sondern darum, die Frauen zur leichteren Beute für westliche Männer zu machen. Dem gesamten männlichen Kollektiv, unbeschadet gemeinsamer Vorstellungen von Glauben, Moral, Geschichte und Familie. Immer wieder hatte sie behauptet, dass ihre Tochter in ihrer alten Heimat Iran nicht dasselbe schreckliche Schicksal hätte erleiden müssen.
Im Herbst 1995, zehn Jahre nach dem Tod ihrer Tochter, nahm sie an einer Talkshow im Fernsehen teil. Es ging um das Frauenbild des Islam, um die Unterdrückung der Frauen, um den Schleier, um die Beschneidung von Frauen, um Ehrenmorde und alles andere Erdenkliche, das mit der Sache zu tun oder nicht zu tun hatte. Maryam sorgte in der Livesendung für einen Skandal, und in dem Moment, in dem die Kameras ausgeschaltet wurden, versuchte sie der Moderatorin, einer Christin, die Haare auszureißen. Was den Abendzeitungen am nächsten Tag natürlich eine Schlagzeile wert war.
»Sie war vollkommen verrückt, ich war davon überzeugt, dass sie mich töten würde«, erzählte die »schockierte« Moderatorin dem Journalisten von Expressen .
Einen Monat später verließ Maryam ihre neue Heimat und kehrte in den Iran zurück. Nach einem halben Jahr schickte die Dagens Nyheter einen Reporter und einen Fotografen in den Iran, um eine Reportage über sie und
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