Der Stern von Yucatan
kehrte sein Albtraum in dieser Nacht zurück. Thomas erwachte schreiend und saß kerzengerade im Bett.
“Thomas, Thomas.” Azucena schlang die Arme um ihn. “Es ist ein Traum, mein Liebling, nur ein Traum.”
“Diesmal nicht.” Seine Stimme bebte. “Es war so … real.” Er klammerte sich an sie und verbarg das Gesicht in ihrem Nacken. Mit geschlossenen Augen genoss er, wie sie ihm liebevoll über den Rücken strich.
“Erzähl mir von dem Traum”, drängte sie.
Er brachte kaum ein Wort heraus. “Jemand wird sterben. Ich spüre es. Ich spüre es schon seit Langem. Zuerst Ginny. Dann Ernesto. Der Tod kommt immer drei Mal. So war es in Vietnam. Ich erinnere mich, dass wir zwei Männer an einem Tag verloren, und wir alle fürchteten, wir könnten der dritte sein. Doch es traf meinen besten Freund David.” Er machte eine Pause. “Die ganze Zeit hatte ich so verdammte Angst, es könnte mich treffen. Ich wollte nicht sterben. Ich wollte nur nach Hause zu meiner Frau und meiner Tochter.”
“Der Krieg ist vorüber. Du hast nichts zu befürchten.”
“Es ist Raine”, flüsterte er. “Etwas wird ihr zustoßen. Ich spüre es, Azucena. Hier drin.” Er presste ihre Hand gegen sein Herz. “Lieber Gott im Himmel, ich habe sie vielleicht schon verloren, und ich kenne sie noch gar nicht.” Er bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und weinte hemmungslos, während seine Frau ihn leise tröstete.
Jack konnte kaum aufstehen, ohne zusammenzuklappen, doch er bestand darauf, die Motoren anzulassen. Noch so viele Argumente dagegen konnten ihn nicht davon abhalten. Wie Lorraine bereits festgestellt hatte, war Jack Keller ein willensstarker Mann. Den Wind im Gesicht, trug sie ihm eine Tasse Kaffee auf die Steuerbrücke. Er saß da, studierte die Karten und verglich die Daten mit den Anzeigen auf der Navigationseinrichtung.
Er lächelte, als sie ihm den Becher gab. “Soweit ich es feststellen kann, sind wir zwei Tage von der Küste entfernt.” Er blickte wieder auf die Karte und zog eine Linie mit dem Finger. “Siehst du? Wir befinden uns hier und steuern durch die Bucht von Campeche auf Alvarado zu. Dann …” Er sah auf. “He, warum ziehst du die Stirn kraus?”
Lorraine wusste es selbst nicht genau. Sie sollte fröhlich und überglücklich sein. In wenigen Tagen, maximal in drei, würde das Artefakt den Behörden übergeben werden. Sobald das erledigt war, würde Jacks Freund in der Regierung sie von allen Verdächtigungen befreien. Und ehe sie sich versah, war sie wieder bei Gary in Louisville.
“Lorraine?”
“Ich … ich weiß nicht recht.”
Er drosselte die Motoren. Zärtlich strich er ihr über die Wange und sah ihr tief in die Augen. Seine Geste ging ihr unter die Haut. Sie senkte den Blick. Seit jener Nacht, als sie nebeneinander gelegen hatten, vermieden sie es, sich zu berühren aus Angst, es könnte zu mehr führen – zu weiteren Zärtlichkeiten, gar einem Kuss. Sie hatten eine unsichtbare Grenze gezogen, die beide in stillem Einvernehmen nicht überschritten.
“Ich lasse nicht zu, dass dir etwas geschieht.”
Sie nickte vertrauensvoll.
“Niemand wird dich einsperren.”
Sie ließ ihn in dem Glauben, sie fürchte sich vor dem Kontakt mit den Behörden. Ihre Befürchtungen hatten jedoch ausschließlich mit ihm zu tun.
Alle Versprechen, die sie sich gegeben hatte – die Fehler ihrer Mutter zu vermeiden, zu ihrem schlichten, wohldurchdachten Leben zurückzukehren –, bedeuteten nicht mehr viel. Gary und ihr Leben in Louisville erschienen ihr irreal. Sie musste sich zwingen, daran zu denken, dass sie mit ihm verlobt war.
Sie konnte Jack nicht verlassen, es ging einfach nicht. Der Gedanke war schon unerträglich. Vielleicht konnten sie zusammenbleiben. Vielleicht fanden sie einen Weg, dass es funktionierte. Sie waren Gegensätze in vielerlei Hinsicht. Ihre Leben waren völlig verschieden verlaufen, aber vielleicht … Zugleich erkannte sie jedoch, dass es ausgeschlossen war. Es hatte bei ihren Eltern nicht funktioniert, und es würde bei ihnen nicht funktionieren.
Dann kam ihr ein Gedanke, der sich allmählich zum Plan mauserte. Sie würde nach Louisville zurückkehren und sich ein oder zwei Monate Zeit geben, um zu testen, ob ihre Gefühle echt waren. Sie musste sicher sein, dass es richtig war, bei Jack zu bleiben. So viel schuldete sie Gary … sie musste heimkehren und ihm alles erklären. Sobald sie überzeugt war, bei Jack bleiben zu wollen, würde sie nach Mexiko zurückkehren
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