Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
verschlingendes Untier. Und doch gab es ein Leben. Ein nach außen hin geordnetes, anständiges Leben.
Und dann gab es das Chaos in seinem Inneren. Ein Schlachtfeld, den Dreiklang aus Schuld, Niederlage und Demütigung, der an seinen Nerven zerrte. Und der ihn bis in die Nächte verfolgte. Dieses Gefühl war nicht zu betäuben – nicht mit Wein und nicht mit anderem.
Mit einem Schrei war Christian Rantzau aus seinem Albtraum aufgefahren. Das Mädchen war schon fort, die Laken waren kalt und dennoch schwitzte er. Fluchend setzte er sich auf und griff nach dem Becher mit Wein. Die Kerzen, die er nachts brennen ließ, zeichneten lebhafte Schatten auf die Wände. Fratzen und Ungeheuer.
Was hatte er wieder geträumt?
Rantzau erinnerte sich. Wie üblich war er auf der Heide gewesen. Dort war ihm Oss begegnet – auf dem schwarzen Oldenburger kam er ihm entgegen geritten. Sein Körper war riesig, ein fürchterlicher Klotz. Und während er noch dachte, dass er fliehen müsste, streckte der andere die Hand nach ihm aus.
Näher und näher kam der Feind und weil er sich nicht rühren konnte, gefangen war in seinem Körper, wuchs ihm die geisterhafte Hand entgegen, bis sie ihn erreicht hatte. Mit einem Schlag setzte sie auf seiner Brust auf. Dann begann die Hand zu rotieren. Einem mechanischen Instrument gleich bohrte sie sich durch seinen Umhang, durch sein Wams und den Brustpanzer, bis er sie auf der bloßen Haut spürte. Der verletzliche, letzte Schutz. In diesem Moment geschah das Schrecklichste. Ein Geräusch wie Uhrenschlagen drang an sein Ohr, schrill und unerbittlich, dann setzte die Hand an, seine Brust aufzuschlitzen.
Der Schmerz war unbeschreiblich und dennoch gelang es Rantzau nicht, aufzuwachen, obwohl er doch wusste, dass er träumte.
Weiter und weiter arbeitete die Hand sich voran, bis sie sein Herz erreicht hatte. Dort klappte sie ein Messerchen aus, winzig wie ein Daumennagel, und begann das schlagende Herz mit präzisen Schnitten aus seiner Höhle herauszulösen.
Und er schrie und schrie, schrie um Gnade, doch jedes Winseln ließ das Messer nur noch unerbittlicher wüten. Schließlich war das Werk vollendet, und die Hand zog sich mit ihrer Beute zurück. Auf dem Handteller, der sich ihm präsentierte, lag sein zerfetztes Leben, kunstvoll ziseliert. Der riesenhafte Oss hatte seine Initialen und das Rantzausche Wappen in das zuckende Fleisch geritzt.
Mit dem letzten bisschen Atemluft, die ihm noch geblieben war, schrie er noch einmal seine Verzweiflung heraus. Und dieser letzte Schrei befreite ihn von dem Alb. Das Bild von Oss verschwand, löste sich auf in den Lichtern der Nacht und Rantzau erwachte – unversehrt, aber vollkommen erschlagen.
So saß Rantzau dann zwischen seinen Kissen, nass vom Schweiß und gleichzeitig zitternd, während die Dämmerung sich in sein Refugium schlich und die Dunkelheit wich.
Der Traum war eine Mahnung, das war ihm sofort in den Sinn gekommen. »Bedenke, dass du schuldig bist«, schien Oss ihm aus dem fernen Totenreich zu übermitteln. »Ich kenne deine Schuld. Und ich werde nicht ruhen, werde nicht ruhen, werde nicht ruhen …«
Nein, der Albtraum war noch nicht beendet. Immer noch schwebte die Angst vor der Enttarnung wie ein Damoklesschwert über seinem Haupt. Tatsächlich hatte Rantzau den verräterischen Sporn nie gefunden. Nach dem letzten Gefecht auf der Heide, bei dem er Oss den tödlichen Stich versetzt hatte, hatte er ohne den Schmuck davonreiten müssen. Zwar hatte er den Sterbenden und den Rest der Bande durchsuchen lassen, seine Männer hatten buchstäblich jeden Stein auf der Heide umgedreht, doch das kostbare Stück blieb verschwunden. Und da alle Zeugen niedergemetzelt waren und um nicht allzu lange an dem verräterischen Ort zu verweilen, waren sie schließlich aufgebrochen und nie wieder auf die verfluchte Heide zurückgekehrt.
Rantzau hatte geglaubt, dass dieses Kapitel seines Lebens abgeschlossen sei. Doch selbst aus der Hölle heraus schien dieser Bursche Macht über ihn zu besitzen. Er konnte seinen Schatten nicht abschütteln. Jeder Atemzug war eine Mahnung seiner Schuld, und Gott schwieg und ließ ihn im Stich.
Rantzau horchte hinaus, die Hähne krähten, dann folgten die ersten Stimmen. Das Leben erwachte, Geräusche und emsiges Getrappel – der junge Morgen. Ein weiterer Tag in seinem Reich – dessen Geschicke sich scheinbar so erfreulich gewandelt hatten.
Er quälte sich aus seinem Bett, warf sich etwas über und trat ans Fenster, das
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