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Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)

Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Burseg
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noch tiefer über die Zeichnungen, dabei stieß er etwas vom Tisch. Caspars Arbeitsstück, der Messingring, rollte über den Boden davon.
    Sophie schloss die Augen.
    »Mein«, hörte sie die empörte Stimme ihres Sohnes. »Mein!«
    Auch wenn sie so vieles trennte, war der Nachdruck in seiner Stimme dem seines Vaters doch zum Verwechseln ähnlich.

NEUN
    Es war seltsam, das Mädchen nach so vielen Jahren wiederzusehen. In Rantzaus Kopf hatte sich ihr Bild mit den Erinnerungen an die tote Jonna überlagert. Doch die beiden Wesen waren fern, abstrakt, denn immer wieder drängte sich das albtraumhafte Bild von Oss in den Vordergrund. Es war Schrecken und Ansporn zugleich. Nein, Ritter Rantzau würde nicht vor den Lasten der Vergangenheit kapitulieren.
    Sophie also, nun zur Frau gereift – sie hatte die Sternenbilder gemalt, die ihn bis ins Mark getroffen hatten. Die fremden Wesen darauf, das tiefe Blau des Himmelsgrundes, das Leuchten einer fernen Welt, das Wispern der Zeit hatten ihn daran erinnert, dass sein Leben einem ungewissen Pfad folgte. Dass hinter jedem Aufstieg der Abgrund lauerte. Seine Schuld, die ihn so stark und mächtig hatte werden lassen. Hielten die Sterne eine Antwort für ihn bereit?
    Als er in die Schmiede gekommen war, hatte er gedacht, dass Sophie die Antwort war. Gott hatte ihn zu ihr geführt und plötzlich begriff er, dass sie wusste, wo der Sporn versteckt war. Sie war der Schlüssel zu allen Seelenqualen, die ihn marterten. Sie könnte ihn von seinen Albträumen befreien. Für einen Moment hatte er nach Luft schnappen müssen.
    Und Sophie, eine Frau nun, die nur noch vage Ähnlichkeiten mit dem verhassten Oss besaß, hatte auch ihn sofort erkannt. Er sah es in ihrem Blick, las es an den Reaktionen ihres Körpers ab. Ihre Angst und ihre Abwehr sprangen ihm förmlich entgegen. Und für einen Moment hatte er seine Macht über sie genossen.
    Dann hatte er gedacht, dass er ihr außerhalb der Schmiede auflauern müsste. Allein und ohne die schützende Hand des Hofgelehrten wäre sie hilflos, ein Vögelchen, das er leicht zerquetschen könnte. So wie damals am Herkulesbrunnen …
    Während er noch über seinen nächsten Schritt nachdachte, beugte er sich über die Sternenkarten, die Olearius ihm überreicht hatte. Auch hier das tiefe Blau, das magische Leuchten, faszinierende Wesen, die eine Botschaft in sich trugen.
    Rantzau schuf sich Platz, wischte die Werkstücke zur Seite. Er sah nicht, was er vom Tisch gestoßen hatte. Er hörte nur das metallische Klirren auf dem Steinfußboden, etwas rollte davon.
    Und im nächsten Moment diese Stimme. Die Stimme eines Kindes: »Mein!«
    Ein scharfes Wort, herrisch fast und keinen Widerspruch duldend. Ein Klang, der ihm vertraut war. Der ihn an etwas in seiner Kindheit erinnerte. Wie ein bissiger Hund hatte er damals seine kindlichen Besitztümer verteidigt, Schleuder und Holzschwert, Glaskugeln und Würfel – immer schon ein Schrecken des Gesindes und der übrigen Kinder auf der Breitenburg. Einmal hatte er einen Bauernjungen auspeitschen lassen, der ihm seine Hasenpfote gestohlen hatte. Schon damals hatte er sich allen überlegen gefühlt. Sein Vater hatte ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Respekt betrachtet.
    Rantzau beugte sich und ging in die Knie. Er folgte dem Nachhall der Stimme. Diese Stimme, die wie eine Antwort auf alle seine Fragen klang.
    Er hörte ein Rascheln unter dem Tisch und schob die Leinwand zur Seite. Dann sah er eine Hand. Die Hand eines Kindes, die nach dem herabgefallenen Gegenstand tastete. Er packte sie und zog daran, mit einem Schmerzensschrei landete das Kind zu seinen Füßen. Vorwurfsvoll sah es ihn an, das Kinn emporgereckt, die Lippen trotzig aufgeworfen, die Augen blank und blau – eiswasserblau. Das Leuchten eines fernen Himmels.
    »Mein!«
    Die Erkenntnis traf ihn innerhalb von Sekunden. Es war wie eine Vision: Er blickte in ein ihm seltsam vertrautes Gesicht – das Kind, ein Junge von acht oder neun Jahren, war eine Mischung aus Oss und ihm selbst. Furchtlos und trotzig stand er vor ihm, die Hände zu Fäusten geballt. Wie von einer höheren Macht getrieben, reichte Rantzau ihm das kleine Metallstück.
    »Caspar!«
    Sophie drängte sich vor, ihre Stimme dünn vor Verzweiflung und Angst. Sie packte den Jungen, zog ihn zu sich, als ob sie ihn hinter ihren Röcken verstecken wollte. Doch dann sah sie ein, dass es nichts mehr zu verstecken gab, dass er längst begriffen hatte, wer da vor ihm stand.
    Caspar …

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