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Der Sternenwald

Der Sternenwald

Titel: Der Sternenwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin J. Anderson
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zu planen.«

28 NIRA
    Das Rot der Abenddämmerung wirkte wie Blut am Himmel von Dobro. Nira blickte dorthin empor. Vor langer Zeit war das Zuchtlager eine Kolonie für die hoffnungsvollen Siedler von der Burton gewesen, doch das hatte sich längst geändert.
    In ihrer Phantasie war Nira noch immer imstande, zum Weltwald zurückzukehren, obwohl sie wusste, dass die Bäume sie nicht hören konnten. Ihre Jahre als neugierige grüne Priesterin, ihre Erfahrungen als Akolyth, als junges Mädchen, das den Weltbäumen Geschichten vorlas, Erinnerungen an ihre Familienangehörigen, die sie immer geliebt hatten, auch dann, wenn sie ihre Interessen und Neigungen nicht verstanden – das alles blieb stark in ihr. Manchmal, abends, erzählte sie den anderen Gefangenen Geschichten: König Artus und die Ritter der Tafelrunde, Beowulf, Romeo und Julia. Die Menschen im Lager kannten nicht den Unterschied zwischen Wahrheit und Fiktion.
    Sie konnte noch immer die alten Volkslieder singen, die von den Kolonisten der Caille stammten. In den vergangenen Jahren hatte sie ihren Babys leise Verse vorgesungen oder alte, lustige Gedichte gesprochen, bis die ildiranischen Ärzte ihr die Kinder fortnahmen. Nira hoffte, dass sich ihr eines Tages Gelegenheit bot, Osira’h, ihre Prinzessin, wieder zu sehen oder gar zu retten.
    Dobros Hauptstadt, viele Jahrhunderte vor der Ankunft der Burton gegründet, bestand aus Gebäuden mit vielen Fenstern. Jetzt, nach dem Sonnenuntergang, wurden zahlreiche Glänzer aktiv, um die Dunkelheit der heranrückenden Nacht fern zu halten. Menschen machte die Finsternis nichts aus, deshalb befand sich das Zuchtlager am Stadtrand. Es wurde nur von den Kugeln erhellt, die an den Ecken der Umzäunung leuchteten.
    Männer und Frauen riefen von den Gemeinschaftsbaracken aus zum Essen. Manchmal gesellte sich Nira ihnen hinzu, aber an diesem Abend wollte sie am Zaun bleiben. Ihre grüne Haut hatte genug Sonnenlicht absorbiert, um ihr Kraft zu geben; sie brauchte keine Mahlzeit.
    Sie sah zum Horizont, zu den Hügeln, an deren Hängen niedrige Bäume mit schwarzen Blättern wuchsen. Wenn es ihr jemals wieder gelang, einen Kontakt zum Weltwald herzustellen, konnte sie um Hilfe rufen, Mitteilungen senden und erfahren, was seit ihrer Entführung im Spiralarm geschehen war.
    Die anderen Frauen des Lagers wirkten farblos und resigniert – sie waren an harte Arbeit und häufige Schwangerschaften gewöhnt. Alle lebensfähigen Nachkommen wurden bei der Geburt sorgfältig untersucht. Einige der experimentellen Kreuzungen waren auf so entsetzliche Weise entstellt, dass man sie sofort tötete. Die gesunden Exemplare blieben einige Monate bei den Müttern und wurden dann von ihnen getrennt, um in den Städten von Dobro aufzuwachsen, von Ildiranern überwacht. Nur reinrassige menschliche Kinder blieben bei ihren Eltern und wuchsen im Lager heran, um später ebenfalls als Zuchtmaterial verwendet zu werden.
    Nira drehte den Kopf und blickte zu dem prächtig beleuchteten Gebäude in der ildiranischen Stadt, von dem sie wusste, dass der Dobro-Designierte dort wohnte. Vor Jahren hatte er sie zu sich bringen lassen, in sein Turmzimmer. Während des Geschlechtsakts mit ihm hatte sich Nira vorzustellen versucht, dass Jora’h sie in den Armen hielt, dass Udru’h, der seinem Bruder sehr ähnelte, ihre große Liebe war. Aber er liebkoste sie wie mit Glassplittern, berührte sie wie mit Stacheldraht und noch Tage später war ihr übel gewesen.
    Während jener Schwangerschaft, der ersten nach Osira’h, hatte sie eine Fehlgeburt erfleht und den Fötus in ihrem Leib verabscheut. Doch das nächste Kind, ein Junge, kam gesund und stark zur Welt. Zwar verachtete sie den Vater, aber das unschuldige Kind lernte Nira schnell lieben. Inzwischen war ihr auch jener Junge – Rod’h – genommen worden. Sie hoffte, dass er als Erwachsener nicht so wurde wie sein Vater.
    Als der Designierte gekommen war, um ihr den Jungen zu nehmen, hatte Nira ihn nach ihrer Prinzessin gefragt, nach irgendeinem kleinen Detail ihres Lebens. »Fragen Sie mich nie wieder danach«, hatte Udru’h geantwortet. »Osira’h geht Sie nichts mehr an. Sie trägt das Gewicht des Reiches auf ihren Schultern.«
    Die Worte weckten sowohl Furcht als auch Hoffnung in Nira. Was wollte Udru’h mit Osira’h anstellen? Als sich die Dunkelheit nun verdichtete, sammelte Nira ihre Gedanken und blickte so zum hohen Turm, als wäre er eine Bastion von Träumen und Möglichkeiten. Ihre Prinzessin

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