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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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mit Eiswürfeln aus der Kühlanlage hervorgezogen hatte.
    »Sie fahren also nicht nach Hause?« fragte er.
    »Sie haben das überprüft?«
    »Ja.«
    Ich streckte ihm das Glas Whisky hin, damit er sehen konnte, wie ruhig meine Nerven waren. Dabei sagte ich: »Vigot, möchten Sie mir nicht erklären, weshalb Sie glauben, daß ich an Pyles Ermordung beteiligt war? Ist es eine Frage des Motivs? Etwa, weil ich Phuong zurückhaben wollte? Oder bilden Sie sich ein, daß es Rache war, weil ich sie verloren habe?«
    »Nein. So dumm bin ich nicht. Man nimmt sich nicht das Buch seines Feindes als Andenken mit. Dort drüben steht es in Ihrem Bücherschrank. ›Die Rolle des Westens‹. Wer ist dieser York Harding?«
    »Er ist der Mann, den Sie suchen, Vigot. Er tötete Pyle – aus der Ferne.«
    »Das begreife ich nicht.«
    »Er ist eine verbesserte Ausgabe eines Journalisten – diplomatische Korrespondenten nennen sich solche Leute. Er greift eine Idee auf und fälscht dann jede Situation so um, daß sie zu seiner Idee paßt. Pyle kam hierher, erfüllt von York Hardings Idee. Harding war einmal eine ganze Woche hier, auf seinem Weg von Bangkok nach Tokio. Pyle beging den Fehler, Hardings Idee in die Praxis umzusetzen. Harding schrieb von einer Dritten Kraft. Pyle bildete eine solche – einen schäbigen kleinen Banditenhäuptling mit zweitausend Mann und ein paar gezähmten Tigern. Er hat sich hier eingemischt.«
    »Sie tun das niemals, nicht wahr?«
    »Ich habe mich bemüht, es nicht zu tun.«
    »Das ist Ihnen aber mißlungen, Fowler.« Aus irgendeinem Grund fielen mir plötzlich Hauptmann Trouin und die Ereignisse jener Nacht im Opiumhaus von Haiphong ein, die jetzt schon viele Jahre zurückzuliegen schienen. Was hatte doch Trouin damals gesagt? Daß wir alle früher oder später im Augenblick einer heftigen Gemütsbewegung Partei ergreifen und hineingezogen werden. »Sie hätten einen guten Priester abgegeben, Vigot. Was haben Sie an sich, daß es einem so leicht fallen würde, Ihnen zu gestehen – wenn es etwas zu gestehen gäbe?«
    »Ich wollte niemals irgendwelche Geständnisse haben.«
    »Sie haben Sie aber bekommen?«
    »Hin und wieder.«
    »Liegt es vielleicht daran, daß es wie bei einem Priester Ihre Aufgabe ist, nicht schockiert zu sein, sondern Verständnis zu zeigen? ›Monsieur Flic, ich muß Ihnen genau erzählen, warum ich der alten Dame den Schädel eingeschlagen habe.‹ ›Ja, Gustave, laß dir nur Zeit und sag mir, warum du es getan hast.‹«
    »Sie haben eine wunderliche Phantasie, Fowler. Sagen Sie, trinken Sie nichts?«
    »Für einen Verbrecher ist es bestimmt nicht ratsam, mit einem Polizeioffizier zu bechern, nicht wahr?«
    »Ich habe nie behauptet, daß Sie ein Verbrecher sind.«
    »Aber angenommen, der Alkohol löst sogar in mir den Wunsch aus, ein Geständnis abzulegen, was dann? In Ihrem Beruf gibt es doch kein Beichtgeheimnis.«
    »Geheimhaltung ist für jemanden, der beichtet, selten von großer Wichtigkeit, selbst wenn er einem Priester beichtet. Er hat andere Beweggründe.«
    »Etwa den Wunsch, sich zu reinigen?«
    »Nicht immer. Manchmal möchte er sich nur selbst mit aller Klarheit so sehen, wie er ist. Manchmal ist er bloß der Täuschung überdrüssig. Sie sind kein Verbrecher, Fowler. Dennoch möchte ich wissen, warum Sie mich belogen haben. Sie sahen Pyle am Abend seines Todes.«
    »Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?«
    »Ich habe nicht einen Augenblick lang angenommen, daß Sie ihn töteten. Sie hätten sich kaum eines rostigen Bajonetts bedient.«
    »Rostig?«
    »Das sind so die Einzelheiten, die wir durch eine Obduktion ermitteln. Doch ich sagte Ihnen schon, daß die Stiche nicht die Todesursache waren. Der Schlamm von Dakow.« Er streckte sein Glas aus für einen weiteren Whisky. »Lassen Sie mich jetzt einmal überlegen. Um sechs Uhr zehn nahmen Sie einen Drink im ›Continental‹, stimmt das?«
    »Ja.«
    »Und um sechs Uhr fünfundvierzig unterhielten Sie sich mit einem anderen Journalisten am Eingang des ›Majestic‹?«
    »Ja, mit Wilkins. Das alles habe ich Ihnen doch schon längst erzählt in jener Nacht, Vigot.«
    »Richtig. Inzwischen habe ich Ihre Aussagen überprüft. Es ist bewundernswert, wie Sie sich solche belanglose Einzelheiten merken.«
    »Ich bin Reporter, Vigot.«
    »Vielleicht stimmen die Zeitangaben nicht ganz genau, aber niemand könnte es Ihnen übelnehmen, nicht wahr, wenn Sie sich hier um eine Viertelstunde und dort um zehn Minuten geirrt hätten. Sie

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