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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Aber war er mein Freund? Wollte ich überhaupt, daß er mein Freund war? Wir hatten in den letzten Wochen ein paarmal miteinander geschlafen. Jedesmal hatte ich dabei an Hedwig denken müssen. An die Hedwig, die mir früher von ihrem Freund vorschwärmte. Hedwig. Während ich im Zug saß, dachte ich daran, in der Mittagspause mit Hedwig zu reden. Sie war mir gegenüber längst nicht mehr so gönnerhaft wie zu der Zeit, als wir beide noch in der Lehre waren. Sie hatte selbst eine Menge Probleme. Und obwohl sie damit gut alleine fertig wurde, war sie dankbar, wenn ihr jemand zuhörte. Im vergangenen November hatte sie sich endlich von ihrem Mann getrennt. Es war mit den Jahren immer schlimmer geworden mit ihm. Er schlug sie, wenn er betrunken war. Und wenn sie ihm kein Geld geben wollte, um auf diese Weise zu verhindern, daß er sich betrank, dann schlug er sie erst recht. Und nicht nur sie. Manchmal war sie abends von der Arbeit heimgekommen und hatte ihre Tochter grün und blau geschlagen vorgefunden.
    »Kannst du dir das vorstellen?« hatte sie mich am nächsten Tag gefragt.
    »Da gebe ich ihr zwei Mark Taschengeld oder eine Mark für ein neues Schulheft, und er prügelt sie windelweich, bis sie das Geld rausrückt.« Hedwigs Schwiegereltern waren machtlos gewesen.
    »Man kann von zwei alten Leuten auch nicht verlangen, daß sie sich ihm in den Weg stellen«, hatte Hedwig gesagt.
    »Meine Schwiegermutter ist herzkrank, die weint sich nur die Augen aus dem Kopf. Und mein Schwiegervater ist so ein schmächtiges Kerlchen, dem kannst du das Vaterunser durch die Backen blasen. Da müßte er nur einmal zulangen, und sie würden beide nie mehr aufstehen.« Hedwig hatte lange nach einer Wohnung gesucht, möglichst eine Wohnung in der Stadt, damit Nadine im Notfall mit der Straßenbahn ins Geschäft kommen konnte. Seit Ende November lebte sie nun allein mit ihrer Tochter in einem Hochhaus in Köln-Chorweiler. Aber damit waren ihre Probleme nicht gelöst, es waren sogar noch ein paar neue hinzugekommen. Wir sprachen fast regelmäßig in der Mittagspause darüber.
    »Zuerst schien Nadine wirklich erleichtert, als ich ihr sagte, daß wir ausziehen«, hatte Hedwig mir im Dezember erzählt. Sie hatte ihrer Tochter die Situation erklärt, und das Kind schien mit dem Umzug einverstanden. Aber dann war es plötzlich wie umgedreht. Nadine Otten hing wohl sehr an ihren Großeltern, kein Wunder. Sie war bei denen aufgewachsen, und die hatten sie nach Strich und Faden verwöhnt. Als Nadine bemerkte, daß sie von Hedwig nicht jeden Willen bekam, wollte sie zurück. Sie wollte die Großeltern zumindest regelmäßig besuchen, sprach von gar nichts anderem mehr. Hedwig sagte:
    »Das kann ich nicht riskieren. Der schlägt uns tot, wenn wir da auftauchen. Ich habe ihr gesagt, wir können die Großeltern erst besuchen, wenn sie den Kerl rausgeworfen haben. Bis dahin müssen sie eben uns besuchen. Die kommen natürlich nicht. Setz mal zwei so alte Leute in den Zug, die haben doch Angst, daß sie in Honolulu auskommen. Und jetzt bin ich die Böse.« Anfang des Jahres hatte Hedwig mir erzählt, daß ein Lehrer ihrer Tochter sie abends noch angerufen hatte.
    »Ich dachte, ich falle aus allen Wolken. Da hält der mir einen Vortrag, er würde das Jugendamt einschalten, wenn ich meinem Kind noch einmal Beruhigungsmittel gebe.« Nadine war im Unterricht eingeschlafen, dem Lehrer hatte sie erzählt, Hedwig würde ihr immer Tabletten geben. Sie hatte ihm angeblich sogar zwei Pillen gezeigt. Hedwig sagte:
    »Wenn sie wirklich welche hatte, von mir hatte sie die bestimmt nicht. Bei mir gibt es keine Beruhigungsmittel; wenn ich mich abends ins Bett lege, schlafe ich auf der Stelle ein. Ich habe versucht, das klarzustellen, aber ich fürchte, der hat mir kein Wort geglaubt. Vielleicht sollte ich mal zum Jugendamt gehen. Die haben doch da bestimmt einen Psychologen, der mal mit ihr reden könnte und sie vielleicht zur Vernunft bringt. Ich möchte zu gerne wissen, woher sie das Zeug hatte.« Und im März sagte Hedwig:
    »Jetzt ging es ein paar Wochen gut. Ich hatte mit ihr geredet, weißt du noch, daß ich vielleicht mal mit einem vom Jugendamt sprechen sollte. Da war sie plötzlich sanft wie ein Lamm. Das brauchst du nicht, Mama, ich gebe mir jetzt ein bißchen mehr Mühe. Ich räume auch mein Zimmer auf und mache die Schularbeiten ordentlich. Ich habe ihr gesagt, sie soll herkommen, wenn etwas nicht in Ordnung ist, wenn sie irgendwas nicht kann oder so. Ich

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