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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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war für mich kein Mann, er war nur mein Schwager. Und Günther? Günther war ein Mann, was war denn so anders an ihm? Es stand keinem auf der Stirn geschrieben, und Gedanken lesen konnte ich nicht. Nur fühlen, immer nur fühlen. Und kratzen, es ging nicht anders. Ich mußte heim. Ich mußte unter die Dusche, damit es aufhörte. Anke lachte mich aus.
    »Du bist ein nervöses Huhn. Du solltest das Geld, das er dir für die Garage zahlen will, erst mal in Baldrian investieren.« Sie kam wieder auf Mutter zurück, vielmehr auf Mutters Schwärmerei für Herrn Genardy. Zwinkerte mir zu.
    »Vielleicht haben wir Glück und bringen sie noch einmal gut unter die Haube. Das wäre doch was. Da müßte sie nicht ständig ihren Frust bei mir absitzen.« Und ich saß wie auf glühenden Kohlen. Es war unerträglich. Zuerst scherzte Anke noch:
    »Erwartest du noch Besuch heute abend?« Dann meinte sie:
    »Vielleicht hast du eine Allergie.« Sie erzählte, daß sie selbst einmal eine Waschlotion benutzt hatte, die auch einen so unerträglichen Juckreiz auslöste. Und endlich stemmte sie sich aus ihrem Sessel.
    »Na, geh heim und wasch das Zeug ab.« Dann brachte sie mich zur Tür. Bis zur Ecke lief ich, kratzte verstohlen mit der Hand in der Manteltasche. Die Fußgängerampel an der Kreuzung war rot. Ich konnte auch nicht einfach über die Straße laufen, es war noch viel Verkehr. Während ich warten mußte, ließ der Juckreiz nach. So plötzlich wie es angefangen hatte, ging es auch wieder vorbei. Das letzte Stück ging ich langsam und kam dabei zur Ruhe. Die Luft war herrlich, sehr kühl und ganz klar. Mein Kopf klärte sich auch wieder. Es waren vielleicht nur die Erinnerungen, die mir so zu schaffen machten. Aber Franz war tot. Mein lieber, guter, mein geduldiger, sich selbst verleugnender Franz. Warum wurden Männer so? Ich schaute noch in Nicoles Zimmer. Sie schlief fest. Ihre Decke war bis ans Fußende zurückgeschlagen. Das Oberteil ihres Schlafanzugs kringelte sich unter ihren Armen. Ihr Rücken war ganz kalt. Als ich die Schlafanzugjacke hinunterzog und ihr die Decke über die Schultern legte, schlug sie nach mir und murmelte:
    »Geh weg, du Schwein, das sag ich deiner Mutter.« Jedes Wort war deutlich zu verstehen, offenbar träumte sie. Sie drehte sich auf die andere Seite, mit dem Gesicht zu mir. Ich zog die Decke noch ein bißchen höher und nahm den Pullover unter ihrem Kopf fort. Da, wo Nicole mit dem Gesicht darauf gelegen hatte, war er feucht und klebrig. Ihr Kinn und die Wange waren auch feucht. Sie hatte im Schlaf wohl ein bißchen gesabbert. Ich wischte ihr das Kinn mit der Hand ab, und Nicole seufzte im Schlaf.
    Donnerstags rief ich in der Mittagspause noch einmal bei Günther an. Ich wollte endlich mit ihm über meinen neuen Mieter reden und kam auch diesmal nicht dazu. Wir sprachen nur über Nadine Otten. Hedwig hatte den Dienstag und den Mittwoch durchgehalten, donnerstags fehlte sie wieder. Der Abteilungsleiter erklärte im Laufe des Vormittags mit düsterer Miene, sie sei entschuldigt, kein Wort mehr. Von Günther erfuhr ich den Grund. Man hatte Hedwigs Tochter gegen sechs Uhr am Morgen gefunden. In einer Gartenanlage am Stadtrand, in einer Laube, tot. Viel mehr wußte Günther noch nicht. Er hatte es selbst gerade erst von einem jungen Kollegen erfahren und war auf dem Weg in die Redaktion. Mein Anruf hatte ihn von der Tür zurückgeholt. Günther versprach mir, abends kurz vorbeizukommen.
    »Wenn dir das nicht zu spät wird«, meinte er. Ich hätte Hedwig gerne angerufen. Aber ich traute mich nicht. Ich hätte auch nicht gewußt, was ich ihr sagen sollte. Der Nachmittag kroch hinter der Käsetheke vorbei. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich hätte mir das Gespräch mit Günther nur eingebildet, zumindest einen Teil davon. Daß er vielleicht nur gesagt hatte:
    »Man hat das Kind gefunden.« Und mir danach erklärt, wo man es gefunden hatte, lebend natürlich und wohlauf, nur ein bißchen verdreckt vielleicht und sehr hungrig. Es war alles so unwirklich. Einmal kam eine ältere Frau zusammen mit einem Mädchen von vielleicht zehn oder elf Jahren. Die Frau trug einen grauen Mantel und das weiße Haar so kurz geschnitten wie Hedwigs Schwiegermutter. Und ich dachte, es wäre Hedwigs Schwiegermutter und das Mädchen, das sie bei sich hatte, wäre Hedwigs Tochter. Erst als die Frau dann nach einem halben Pfund mittelaltem Gouda verlangte, fiel mir wieder ein, daß Hedwigs Tochter nie mehr zusammen mit ihrer

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