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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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gegenüber und ließ sich erklären, warum sie ihre Dame viel zu früh bewegt hatte und daß die Springer ins Zentrum gehörten und nicht an den Rand. Zu Mittag gab es Rinderrouladen und Blumenkohl. Das Fleisch war im Sonderangebot gewesen, trotzdem noch ein teurer Spaß. Aber es war alles in Ordnung. Und solange das zählte, rechnete ich nicht mit ein paar Markstücken. Kurz nach Mittag erschien Mutter, Mara weder an der Hand noch auf dem Arm wie sonst, sondern im Buggy, damit es schneller ging. Mutter war völlig außer sich. Seit den frühen Morgenstunden war Anke im Krankenhaus. Aber erst vor einer knappen Viertelstunde hatte Norbert es für nötig befunden, telefonisch mitzuteilen, es ginge nicht voran.
    »Die haben ihr unter aller Garantie wehenhemmende Mittel gespritzt«, behauptete Mutter.
    »Das paßt denen doch nicht in den Kram, eine Entbindung an einem Sonntag, da haben sie keine Lust und keine Zeit. Da gehen sie lieber nachmittags auf den Golfplatz. Sie werden alles tun, um die Geburt auf morgen zu verschieben. Mein Gott, das liest man doch immer. Nachher hat das Kind einen Hirnschaden.« Mutters Stimme überschlug sich fast vor Erregung. Ihr Blick ging zwischen Günther und mir hin und her. Auf ihren Wangen hatten sich rote Flecken gebildet. Sie wollte auf der Stelle in die Klinik, den Ärzten den Kopf zurechtsetzen, Anke in ihrer schweren Stunde beistehen, notfalls dem Baby mit eigenen Händen ans Tageslicht helfen. Schließlich blieben ihre Augen an Günther haften.
    »Wenn Sie wohl so nett sein würden und mich zur Klinik fahren.« Sie schaute mich an.
    »Ich lasse Mara bei dir, ich kann sie ja nicht mitnehmen.« Günther kam nicht dazu, ihr zu antworten. Das tat ich an seiner Stelle.
    »Er kann nicht so nett sein und dich fahren. Er fährt mich. Wir wollen in einer halben Stunde aufbrechen. Er bringt mich nach Chorweiler und muß dann selbst zum Dienst.« Mutter schnappte nach Luft, hob die Stimme um ein oder zwei Dezibel an.
    »Was willst du denn in Chorweiler? Da kannst du doch nur herumsitzen. Und das kannst du ja wohl auch noch am nächsten Sonntag! Aber Anke braucht jetzt jemanden, der ihr beisteht. Norbert tut doch den Mund nicht auf. Der wird nicht einmal begreifen, was sie Anke geben.« Günther schwieg, lehnte sich auf der Couch zurück, zündete sich eine Zigarette an, schaute gespannt und mit leicht hochgezogenen Augenbrauen auf Mara, die mit halboffenem Mund das Gezeter ihrer Großmutter verfolgte. Zwei Sekunden lang war Stille, Mutter atmete einmal tief durch, machte einen ersten, winzigen Schlenker auf mich zu.
    »Aber bitte, du kannst ja nach Chorweiler. Es ist doch alles ein Weg, nehme ich an. Ihr müßt mich ja nur vor der Klinik absetzen. Du kannst deiner Kollegin sagen, es tut mir sehr leid, was mit ihrer Tochter geschehen ist.«
    »Und Mara?« fragte ich, erklärte gleich weiter:
    »Ich kann sie nicht mitnehmen. Ich nehme auch Nicole nicht mit. Ich besuche doch nicht mit einem Kind an der Hand eine Frau, deren einziges Kind gerade ermordet wurde. Hedwig würde das vielleicht nicht verkraften.« Mutters Schlenker war bereits Vergangenheit, vorbei und vergessen.
    »Ermordet«, fauchte sie, tat sich in Bezug auf die Lautstärke keinerlei Zwänge mehr an,»wie sich das anhört! Hedwig! Sie war dir schon immer wichtiger als deine Familie. Solange es dabei nur um mich geht, will ich mich gar nicht darüber aufregen. Aber was ist mit deiner Schwester? Wer hat dich denn damals unterstützt, als dir das Wasser bis zum Hals stand? Wer kümmert sich denn tagein, tagaus um dein Kind. Das nennt sich dann Dankbarkeit. Hat Anke dich jemals um einen Gefallen gebeten? Nicht, daß ich wüßte! Aber du kassierst! Ist es zuviel verlangt, wenn ich dich bitte, Mara für ein paar Stunden zu nehmen?« Sie hätte wohl noch mehr gesagt – oder gebrüllt –, aber sie wurde unterbrochen, als es an der Tür klopfte. Die Klinke bewegte sich beinahe zaghaft nach unten, die Tür öffnete sich einen Spalt. Und in dem Spalt erschien Herrn Genardys Gesicht, die Peinlichkeit der Situation hinter einer Miene der Gelassenheit und Beherrschung haltend.
    »Es tut mir leid, wenn ich störe«, begann er.
    »Ich wurde zufällig Zeuge Ihrer Unterhaltung.« Wirklich sehr dezent ausgedrückt.
    »Vielleicht darf ich Ihnen meine Hilfe anbieten, Frau Roberts?« Er schaute Mutter an, lächelte höflich. Mir warf er einen mehr als kurzen Blick zu, nur so ein Aufblitzen, als sei er sich seiner Sache nicht ganz sicher, und

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