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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Genardy. Lauter gute Zeichen an solch einem Tag. Hedwigs Rücken unter meiner Hand zuckte ein wenig. Ich klopfte ihr gegen eines der Schulterblätter, beinahe hätte ich gesagt:
    »Braver Hund.« Aber wenn einem das Kind von solch einem Hund genommen wird, das überlebt man nicht.
    »Was wolltest du mir denn zeigen?« Hedwigs Kopf an meiner Schulter zuckte ebenfalls. Als sie das Gesicht wieder hob, war meine Bluse feucht.
    »So ist es gut, laß es raus. Du darfst es nicht in dich hineinfressen, damit hilfst du niemandem.« Hedwig schüttelte den Kopf. Ich wußte nicht, ob sie damit meinen ersten Satz ablehnte oder den letzten bestätigte.
    »Ich muß eine von den Pillen nehmen«, murmelte sie,»dann geht es wieder. Dann mache ich uns einen Kaffee, und dann zeige ich dir was. Es ist mir gestern aufgefallen, als ich ihre Sachen durchsah. Ich muß ihre Sachen immer wieder durchsehen. Ich denke immer, ich finde was Wichtiges. Tu ich auch, wirklich. Am Freitag habe ich eine Krawattennadel gefunden, die habe ich Wolfgang aber nicht gezeigt. Sie ist echt, weißt du, sie hat einen Stempel, fünfhundertfünfundachtziger Gold. Vorne ist ein Stein drauf, der ist bestimmt auch echt. Ein Diamant, glaubst du? Ich möchte gar nicht wissen, was die gekostet hat. Sie hatte sie in dem alten Schuh versteckt, in dem Babyschuh, der bei ihr am Fenster hängt. Deshalb haben sie das Ding wohl nicht gefunden. Sie haben ja ihr ganzes Zimmer auf den Kopf gestellt. Aber die wichtigsten Sachen haben sie übersehen. Jetzt weiß ich gar nicht, was ich mit dem Ding machen soll. Ich kann’s ja nicht einfach wegschmeißen.«
    »Gib es Wolfgang«, riet ich,»vielleicht ist es ein wichtiges Beweisstück.« Hedwig machte einen Satz von mir weg, tippte sich an die Stirn und schrie mich gleichzeitig an:
    »Bist du verrückt? Damit es nachher heißt, sie hat geklaut wie eine Elster. Dann heißt es am Ende noch, er hat sie nur deshalb erwürgt, weil sie ihn bestohlen hat. Daß sie ihn bestohlen hat, behauptet er doch sowieso schon. Er hätte ihr nie Geld gegeben und auch nie Pillen. Die Pillen, die sie bei sich hatte, hätte mal eine Freundin bei ihm vergessen. Die müßte sie zufällig gefunden haben. Sie hätte ja immer in seinen Schränken herumgewühlt, wenn er mal für einen Moment aus dem Zimmer gegangen wäre. Er hätte ihr von Anfang an nicht getraut, hat er gesagt, deshalb wäre es ihm auch gar nicht recht gewesen, wenn sie kam. Aber sie hätte ihm halt auch leid getan.« Es dauerte ein paar Minuten, ehe Hedwig sich wieder einigermaßen beruhigt hatte. Ich mußte ihr zweimal die gleiche Frage stellen:
    »Hast du sonst noch etwas gefunden?« Beim zweitenmal nickte sie, antwortete:
    »Ja, Schulhefte. Wolfgang wollte sie schon mitnehmen. Seine Kollegen brauchen alles, was sie bekommen können. Mit den Heften kann man einen Vergleich machen. Ich habe ihm gesagt, ich will sie erst dir zeigen. Er kann sie morgen mitnehmen.« Sie kam wieder einen Schritt näher, legte mir die Arme um den Hals und den Kopf an die Schulter.
    »Ich bin so froh, daß du gekommen bist«, murmelte sie.
    »Als ich hier saß und warten mußte, war es nicht halb so schlimm. Obwohl ich mir da schon denken konnte, daß etwas Furchtbares mit ihr passiert sein muß, hatte ich doch noch ein bißchen Hoffnung. Und jetzt habe ich nichts mehr. Vielleicht weißt du noch, wie das ist. Du hast ja auch einmal so gesessen. Und dein Franz war dein ein und alles.« Wir gingen zusammen in die Küche. Ich schaute ihr zu, wie sie ein Glas mit Wasser füllte, ein Medikamentendöschen vom Schrank nahm. Limbatril. Hedwig schluckte eine der zweifarbigen Tabletten, sie war lang und schmal, rosa und hellgrün. Dann setzte Hedwig endlich Wasser für den Kaffee auf.
    »Ist nur löslicher«, sagte sie,»ich hoffe, du magst ihn. Anderer Kaffee hat sich hier nie gelohnt. Was soll ich für mich alleine eine Tasse machen? Nadine trank immer Milch zum Frühstück. Da hab’ ich für mich eben den löslichen genommen. Schmeckt ganz gut.« Vielleicht hätte sie Franz nicht erwähnen dürfen. Mara trug eine hellgrüne Hose und ein rosafarbenes T-Shirt, genau die gleiche Farbkombination wie die Tabletten, von denen Hedwig gerade eine eingenommen hatte. Mara spielte jetzt irgendwo, vielleicht in einem Garten, vielleicht in einem Zimmer. Nein, in einem Garten, viel Grün drum herum, lauter schlanke Bäumchen. Ich wußte nicht einmal mehr, wie die Bäumchen in meinem Garten hießen. Irgendwas Italienisches.

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