Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
Vom Netzwerk:
Günther ignorierte er völlig. Konzentrierte sich wieder ganz auf Mutter.
    »Ich wollte ohnehin jetzt gleich aufbrechen. Für mich ist es auch ein Weg. Ich könnte Ihnen sogar die Kleine abnehmen. Das macht überhaupt keine Mühe. Meine Schwiegertochter wird gewiß keine Einwände erheben, wenn ich einen kleinen Gast mitbringe.« Mutters Seufzer der Erleichterung hob fast die Zimmerdecke an. Sie legte die Hände aneinander, als wolle sie beten.
    »Das ist wirklich ganz reizend von Ihnen. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«
    »Es macht überhaupt keine Mühe«, wiederholte Herr Genardy.
    In den ersten beiden Stunden war ich mit Hedwig allein. Ihre Mutter war schon am Vortag wieder abgereist.
    »Sie ist ja nicht ganz gesund«, erklärte Hedwig,»sie muß regelmäßig zum Arzt.« Günther war nicht mit hinaufgekommen. Die Zeit war zu knapp gewesen, hatte er jedenfalls behauptet. Ich vermutete eher, er konnte das nicht, sich mit einem Menschen auseinandersetzen, wie Hedwig jetzt einer war. Und Wolfgang Beer war im Dienst, Rauschgiftdezernat.
    »Seine Kollegen haben noch kein Geständnis«, sagte Hedwig.
    »Der Kerl leugnet das ganz hartnäckig. Aber Wolfgang meint, sie kriegen ihn soweit. Und wenn nicht, dann müssen eben die Indizien reichen.« Hedwig sprach wie ein Automat. Auch ihre Bewegungen wirkten merkwürdig steif und abgehackt. Manchmal saß sie minutenlang reglos da, starrte auf einen unbestimmten Punkt an der Wand hinter mir oder auch direkt in mein Gesicht. Wie Großmutter damals, als ob ich nicht da sei. Und anschließend schüttelte Hedwig sich leicht, faßte sich an die Stirn und murmelte:
    »Was wollte ich gleich noch sagen?«
    »Was für Indizien haben sie denn?« fragte ich, nur um überhaupt etwas zu sagen. Und Hedwig lächelte mich so verloren an.
    »Wo ist deine Kleine denn?«
    »Bei ihrer Freundin.«
    »Ach so. Ja. Natürlich. Nadine hatte keine Freundin, hatte sie nie. Ich wollte sie damals in den Kindergarten schicken, da hätte sie vielleicht eine gefunden. Meine Schwiegermutter sagte, das kostet nur, und sie hatte ja recht. Und später dann, als Nadine zur Schule ging, da hat sie keinen Anschluß mehr gefunden. Sie war immer so komisch, kam mit anderen Kindern nicht gut zurecht. Sie war nicht schlecht, so meine ich das nicht, nur komisch.« Ein unmögliches Kind, hörte ich im Geist meine Mutter sagen. Hedwig stand plötzlich auf, ging zur Tür.
    »Du magst doch sicher einen Kaffee.« Ich nickte, aber sie blieb bei der Tür stehen, schaute wieder durch mich hindurch.
    »Mir ist da was aufgefallen«, murmelte sie.
    »Das muß ich dir unbedingt zeigen. Wolfgang habe ich es auch schon gezeigt. Du kennst ihn doch, er kommt gleich, er hat es versprochen. So um sechs herum, kannst du solange bleiben? Ich kann hier nicht bleiben, ich muß hier raus. Kann ich zu dir kommen? Frau Humperts ist doch ausgezogen.«
    »Du wolltest mir etwas zeigen«, sagte ich. Ganz ruhig, Sigrid, ganz ruhig. Sitz nicht so steif, geh hin zu ihr, nimm sie in den Arm, du wolltest sie doch trösten. Kannst du wieder mal nicht? Man kann es lernen, man kann alles lernen. Du bist doch alt genug! Es kostete mich Überwindung, aufzustehen und Hedwig tatsächlich in den Arm zu nehmen. Daß ich es schaffte, hielt ich für ein gutes Zeichen. Lauter gute Zeichen an solch einem Tag. Ein Geburtstag! Anke war überzeugt, daß sie diesmal einen Sohn bekäme. Auf den Ultraschallbildern sei es deutlich zu erkennen, hatte sie mir gesagt, mir so ein Bildchen gezeigt und auf eine bestimmte Stelle getippt. Ich hatte nichts erkannt. Man mußte mit solch einem Bildchen eben umgehen können, ebenso mußte man mit Indizien umgehen können. Die Polizei war überzeugt, daß sie den richtigen Mann hatte, den Mörder. Und wenn er nicht gestand, mußten die Indizien reichen. Indiz; Anzeichen, Verdacht erregender Umstand. Indizienbeweis; auf zwingenden Verdachtsmomenten beruhender Beweis. Ich hatte im Duden nachgeschaut. Es wäre mir lieber gewesen, sie hätten einen brauchbaren Zeugen gehabt. Einen, der gesehen hatte, wie der Student und das Kind in den Garten gingen. Ihnen wäre es wahrscheinlich auch lieber gewesen. Ob Mutter sich jetzt mit den Ärzten anlegte, die Krankenschwestern oder die Hebamme anfauchte? Ich hatte mich mit Mutter angelegt. Ich hatte mich ihr widersetzt, hatte mich so stark gefühlt dabei. Du bist auf dem besten Weg, Sigrid, nur weiter so, man fängt immer klein an. Und Mara spielte jetzt mit der Enkelin von Herrn

Weitere Kostenlose Bücher