Der stille Sammler
sagte sie. »Als hätte er Frauen da. Eine hat mal geschrien, da hatten sie sich wohl gestritten. Na ja, nicht mein Bier.«
Für die Dicke war es Tratsch, für mich die Rekonstruktion eines möglichen Tatorts. Doch ich konnte nicht nachhaken, ohne ihr Misstrauen zu wecken, und hoffte inbrünstig, dass Max es tat. »Ach, so schlimm ist es doch nicht. Ich … ich suche einen Ort, wo ich von allem weg sein kann. Ich möchte ein Buch zu Ende schreiben.«
Die Frau lachte auf. »Ihre Memoiren, was?«
Ich sah sie an und fragte mich, wann Peasil sie zu seinem nächsten Opfer gemacht hätte. Unmittelbar bevor er weitergezogen wäre? Nur zu, du fette Schlampe, mach dich ruhig über mich lustig. Ich habe dir das Leben gerettet. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich für zehn, fünfzehn Minuten allein zu lassen? Damit ich spüren kann, ob mich die Inspiration überkommt? Ich verspreche Ihnen, nichts anzurühren.«
Die Frau schnitt eine Grimasse. »Kein Problem. Ich würde hier drin auch nichts anrühren.«
Sobald sie gegangen war, schloss ich die Tür. Dann kramte ich in meiner Umhängetasche nach den Latexhandschuhen, die ich am Morgen eingesteckt hatte, dazu eine Duschhaube und Papierüberschuhe. Die Duschhaube legte ich wieder zurück – der Turban hielt meine Haare fest genug an Ort und Stelle.
Der Raum maß vielleicht drei mal drei Meter und diente als Wohnzimmer, Küche und Schlafzimmer in einem. Die Kochecke bestand aus einem zweiflammigen Kocher auf einem niedrigen Tisch und einem Kühlschrank gleich daneben. Eine weitere Tür auf der anderen Seite führte in ein Badezimmer, in dem sich zugleich das einzige Waschbecken der Wohnung befand. Trotz des überall herumliegenden Mülls, der Fastfood-Verpackungen und ungewaschenen T-Shirts war ich in der Lage, das Zimmer gründlich abzusuchen, weil ich genau wusste, wonach ich Ausschau hielt.
Nicht nach menschlichen Knochen, nicht hier – so weit war Peasil noch nicht gewesen. Dazu war der Unterschlupf zu klein, und ein rascher Blick auf den festgetrampelten Boden im Garten vor der Hütte hatte mir verraten, dass er ihn nicht als Friedhof benutzt hatte. Erst einmal suchte ich nach anderen Dingen. Nach Gegenständen, die erkennbar nicht zu Peasil gehörten.
Ich ließ die Finger leicht über einen Sessel mit verblichener Polsterung und Armlehnen gleiten, die bis auf das Holz abgewetzt waren. Ich öffnete die schmierigen Jalousieblenden, um zu sehen, ob etwas zwischen ihnen und dem einzigen Fenster im Zimmer versteckt war. Tastete unter dem Fernsehtisch aus Metall, der vermutlich zugleich als Esstisch diente. Warf einen Blick in den leeren Kühlschrank. Suchte nach jedem Schlupfwinkel, in dem man einen Laptop oder ein Handy mit belastenden Beweisen hätte verstecken können.
Schließlich fand ich die Nicht-Peasil-Dinge. Sie lagen versteckt in einer Zimmerecke, in einem schwarzen Plastiksack, den ich unter der halb leeren Luftmatratze fand, die ihm als Bett gedient hatte. Er hatte auf seinen Trophäen geschlafen, wenn er hier gewesen war.
Ich zog Frauenkleidung aus dem Beutel, Socken mit Löchern in den Zehen, einen alten, fadenscheinigen Pullover, eine schmutzige weiße Bluse mit einem Kordelzug am Hals, einen Rock mit einem verblichenen geometrischen Muster, kaum noch zu erkennen nach zahllosen Wäschen, und einen weiteren Rock mit etwas, das wie ein Blutfleck aussah. Diese Opfer waren arme Frauen gewesen. Obdachlose? Hatte Peasil das gemeint, als er gesagt hatte, er würde Frauen vorziehen, die niemand vermisste?
Ein paar Gegenstände waren wegen ihres Gewichts nach unten in den Beutel gerutscht. Ich schüttete sie auf den Fußboden. Ein Kruzifix aus zwei Eisstielen an einem Stück Kordel, ein kleiner laminierter Gebetszettel. Auf der Vorderseite des Zettels ein Bild des heiligen Judas, zusammen mit seinem Namen darunter. Auf der Rückseite ein Gebet auf Spanisch, das ich einigermaßen lesen konnte: »O heiliger Judas Thaddäus, Schutzpatron aller Hoffnungslosen, voll der Wunder und Tugenden, Helfer all jener, die deine besondere Gabe benötigen, stehe mir bei in meiner großen Not.«
Causas Perdidas . Hoffnungslose Fälle. Ich befürchtete, der heilige Judas war keine große Hilfe gewesen. Viele Frauen kamen hier in der Gegend illegal über die Grenze, hungrige und durstige Frauen, geschwächt von den Elementen und vom Alter und nur zu gern bereit, die Mitfahrgelegenheit in einem Van und die Aussicht auf etwas zu trinken zu nutzen. Hunderte Quadratkilometer
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