Der stille Schrei der Toten
anzuordnen, mit mir zu sprechen. Wie schon gesagt, es könnten Menschen zu Schaden kommen.«
»Und wie ich schon sagte: Welche Leute?«
Dieses Mal zögerte er einen langen Moment. Er schaute auf den See hinaus und überlegte. Ich wartete ab, wobei ich mir sicher war, er bereitete sich darauf vor, irgendeine Waffe zu zücken. Ich ließ meinen Finger am Auslöser. Unter keinen Umständen würde ich es zulassen, dass er mich noch einmal attackierte. Und wenn ich hundert Jahre alt werden sollte. »Auf der Falcon erwartet Sie Jacques Montenegro. Er will mit Ihnen sprechen. Es ist wichtig. Das Gespräch wird einige Details erhellen, die Ihnen bei Ihrer Suche nach Sylvies Mörder helfen.«
Nun, die Überraschung war ihm gelungen. Er hatte mich kalt erwischt, denn damit hätte ich niemals gerechnet. Ich glaube, Black und die Cajun-Jungs steckten doch unter einer Decke.
»Verstehen Sie jetzt, warum ich heute Abend hierher gekommen bin? Warum er sich privat ganz alleine mit Ihnen treffen will? Es nutzt keinem von uns, wenn bekannt wird, dass er sich hier am See aufhält.«
»Genau, besonders in Ihrem Fall. In Ihrer Rolle als Montenegros Gönner und Gastgeber und überhaupt. Man könnte daraus sogar den Schluss ziehen, Sie unterhalten ernsthafte Beziehungen zur Mafia. Kein Wunder, dass Sie mitten in der Nacht in der Gegend herumschleichen.«
Black schwieg, woraus ziemlich klar hervorging, dass ich recht hatte. Und ich war jetzt so was von wütend. Mann war ich wütend. Schon die Intrige allein war für mich Grund genug, Montenegro sehen zu wollen. Selbst Al Pacino hätte es nicht gewagt, mich bei einem Treffen abzuballern, das der hiesige Sheriff höchstpersönlich eingefädelt hatte. Auf Blacks Bitte hin, um genau zu sein. Für mich bestand keinerlei Gefahr, und sollte ich am nächsten Tag nicht zur Arbeit erscheinen, würden Köpfe rollen. Montenegro würde es sich zweimal überlegen, krumme Touren zu machen, und es lag in Blacks ureigenem Interesse, mich das Abenteuer unversehrt überstehen zu lassen.
»Okay, gehen wir! Kommen Sie mit zum Boot!«
»Im Kajak ist Platz für zwei.«
»Ach du lieber Gott, nein, vielen Dank. Ich sitze lieber selbst am Steuer. Also steigen Sie schon ein, und zwar vorne, und lassen Sie Ihre Hände da, wo ich sie sehen kann.«
Ich muss total verrückt sein, dachte ich mir, als ich in das zwanzig Jahre alte, mit Tarnfarbe gestrichene, verrostete Heck von Old Betsy stieg. Irgendwie dachte ich, Black gewann zunehmend Oberwasser. Warum konnte ich nicht sagen, aber ich war sehr wohl in der Lage, mich zu verteidigen. Meine Waffe jedenfalls würde ich nicht aus der Hand geben, garantiert nicht.
Ich zog an der Startleine des Außenborders, und natürlich sprang er nicht gleich an. Er konnte verdammt stur sein und verlangte gutes Zureden.
Black sah sich nach mir um. »Diese Kiste soll uns zu meiner Yacht bringen? Ich kann uns auch abholen lassen.«
»Halten Sie einfach den Mund, und lassen Sie die Hände am Kopf, wo ich sie sehen kann.«
Schließlich brachte ich den Motor zum Laufen, und obwohl er qualmte und klopfte wie verrückt, wusste ich doch, wir würden es schaffen. Falls nicht, würde ich auf meine Kenntnisse als Mechanikerin zurückgreifen müssen. Ich steuerte das Boot mit der linken Hand, während ich mit der rechten weiterhin auf Blacks Rücken zielte. Die nächsten Stunden versprachen interessant zu werden, falls ich sie überleben sollte.
17
Wie sich herausstellte, lag die Maltese Falcon in der tiefsten Region des Sees vor Anker, ungefähr fünf Meilen nördlich von dem Uferabschnitt entfernt, an dem ich wohnte. Blacks Paddelleistung war also gar nicht so beeindruckend. Diese Distanz würde sogar ich bewältigen. Dottie würde eventuell zwanzig, vielleicht sogar dreißig Meilen schaffen, wenn sie es versuchen würde. Die Yacht lag im Dunkeln, die Konturen der Reling und des Kabinenaufbaus von Lichterketten erhellt; sie ragte in die Nacht wie ein letztes Bild der Titanic vor ihrem tragischen Untergang. Nicht der beste Vergleich in dieser Situation, sagte ich mir, als ich mein doch sehr bescheidenes Gefährt neben dem windschnittigen, schwarz-braunen Zubringerboot zum Stehen brachte. Vielleicht hätte ja die gute Old Betsy in diesem Moment am liebsten nach einem Schönheitschirurgen verlangt. Mir dagegen ging es prächtig. Ich hatte schon fast vergessen, dass man mich erst vor Kurzem an einen Eisenstuhl gefesselt in den See gestoßen hatte. Erstaunlich, dieses Machtgefühl, wenn
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