Der Stolz der Flotte
Dennoch glaube ich, je mehr Angriffe wir auf die Basen, die Verbindungswege, den Handel des Gegners unternehmen, um so wahrscheinlicher ist es, daß wir ihn zu Lande auf lange Sicht besiegen.« Er lächelte verlegen. »Als Seemann sage ich das nur ungern; aber einen vollständigen Sieg erzielen wir erst, wenn die Flagge unserer Infanterie auf den feindlichen Zinnen weht.«
»Vielleicht haben Sie sehr bald die Chance, Ihre Theorie in die Praxis umzusetzen«, antwortete Draffen bedeutsam lächelnd. »Es hängt weitgehend von unserem Treffen mit einem meiner Agenten ab. Ich habe ein Rendezvous arrangiert. Hoffentlich kann er es schaffen.«
Bolitho spitzte die Ohren. Das war das erste, was er davon hörte. Broughton hatte ihm nur kurze Andeutungen gemacht. Das Geschwader sollte außer Sichtweite vor Djafou patrouillieren; die
Coquette
sollte näher heransegeln und rekognoszieren. Ganz normale Taktik. Normal und bedrückend langweilig, hatte er gedacht. Aber jetzt, da
Aussicht auf neue, geheime Informationen über den Aufmarsch des Gegners bestand, bekam die Operation ein ganz anderes Gesicht.
Draffen fuhr fort: »Ich werde ein bißchen nervös, wenn ich an morgen denke. Wir könnten auf die ganze feindliche Flotte stoßen. Beunruhigt Sie das nicht auch?«
Bolitho blickte Draffen forschend an, aber dessen Gesicht lag in tiefem Schatten. Vielleicht wollte er ihn nur wieder prüfen – es war schwer zu sagen. Vielleicht scherzte er auch über etwas, das eine durchaus reale Möglichkeit war.
»Seit meinem zwölften Jahr lebe ich mehr oder weniger mit dieser Erwartung, in Angst, Erregung oder Betroffenheit, Sir.« Auch Bolitho war ernst geworden, aber dann grinste er. »Doch bis jetzt hat sich kein Mensch um meine Empfindungen gekümmert – am allerwenigsten der Feind.«
Draffen lachte leise. »Dann will ich nach unten gehen und beruhigt schlafen. Ich habe Sie schon zu lange in Anspruch genommen. Aber bitte informieren Sie mich, wenn etwas Außergewöhnliches geschieht.«
Bolitho trat beiseite. »Gewiß, Sir. Sie
un
d
meinen Admiral.«
Noch im Abgehen lachte Draffen vor sich hin. »Wir müssen uns öfter unterhalten!« Damit verschwand er.
Der Midshipman der Wache kam übers Deck gerannt und meldete seinem Leutnant, daß die Hecklaterne brenne. Durch die Takelage vorn schimmerte die Laterne der
Tanai
s
wie ein Glühwürmchen über ihrem Kielwasser.
Bolitho hörte die scharfe Stimme des Leutnants: »Hat auch lange genug gedauert, Mr. Drury!« und das Antwortgemurmel des Jungen. Es war gar nicht schwer, sich vorzustellen, daß dort Adam Pascoe stünde statt des unglückseligen Drury.
Bolitho versuchte, sich um seinen jungen Neffen keine Sorgen zu machen; aber durch das Zusammentreffen mit Inch war ihm in aller Härte bewußt geworden, daß der Junge für ihn unerreichbar war. Er hatte natürlich Briefe bekommen, sowohl von ihm selbst als auch von seinem Kommandanten, von Herrick, Bolithos bestem Freund. Aber wie sein eigenes Schiff, die
Euryalus
,
konnte auch Herricks alter Vierundsechziger, die
Impulsive
,
wenig Rücksicht auf das bißchen menschliche Wärme und Hoffnung nehmen, das die Postboote brachten, oder das in irgendeinem Hafenbüro lagerte, in der Erwartung der entfernten Möglichkeit, daß das Adressatschiff eines Tages dort vor Anker ging.
Bolitho nahm seinen Marsch wieder auf und versuchte, sich Adam vorzustellen, wie er ihn zuletzt gesehen hatte. Doch jetzt mußte er anders aussehen. Vielleicht ganz fremd? Bolitho schritt rascher aus. Unvermittelt wurde ihm klar, wie sehr ihn das berührte. Vor zwei Jahren hatten sie sich getrennt. Der Junge war zu Herrick an Bord gegangen, Bolitho bekam das Kommando über seine Prise, die spätere
Euryalus
,
und mußte sie neu ausrüsten und versorgen. Adam war jetzt siebzehn; vielleicht wartete er schon auf die Chance zum Offiziersexamen. Ob er sich wohl in den zwei Jahren sehr verändert hatte? Hatte er seine eigene Form gefunden, oder war er nach Hugh geschlagen?
Zusammenfahrend bemerkte Bolitho, daß der Midshipman ihm den Weg versperrte; weiß glänzten seine Augen in der Dunkelheit.
»Entschuldigung, Sir, aber der Wachoffizier läßt mit allem Respekt anfragen, ob… ob…« Unter dem Blick seines Kommandanten fing er an zu stottern. »Ob wir reffen könnten. Der Wind scheint aufzufrischen, Sir.«
Bolitho musterte ihn unbewegt. »Ja, Mr. Drury.« Er hatte nicht einmal an dem veränderten Summen in den Wanten gemerkt, daß der Wind stärker geworden
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