Der stolze Orinoco
gehindert hätten, und auf die Palancas gestemmt, trieben sie die »Gallinetta«, die der »Moriche« vorausfuhr, nach dem linken Ufer.
Jorres war übrigens, nachdem er die Staubwolke aufmerksam betrachtet hatte, an seinen Platz zurückgekehrt und hatte ohne ein Zeichen von Unruhe eine Pagaie ergriffen.
Wenn der Spanier aber nicht unruhig war, hatten die Reisenden doch alle Ursache, es zu sein, wenn sie hier von einem Ueberfall durch Alfaniz und seine Indianer bedroht waren. Von diesen Raubgesellen war keine Schonung zu erwarten. Zum Glück aber mußten die Piroguen, da jene keine Mittel hatten, über den Strom zu setzen, vorläufig und so lange sie sich am linken Ufer hielten, gegen einen Angriff geschützt sein.
Hier angelangt, legten sie Valdez und Parchal an Baumstümpfe des steilen Ufers fest, und die Passagiere bereiteten sich, ihre Waffen fertig haltend, für den schlimmsten Fall auf die Abwehr vor.
Die dreihundert Meter der Breite des Orinoco gingen nicht über die Schußweite der Gewehre hinaus.
Man brauchte nicht lange zu warten. Die Staubwolke wirbelte jetzt kaum zwanzig Meter vom Ufer daher. Daraus tönte Geschrei hervor, oder vielmehr ein charakteristisches Brüllen, über das sich niemand täuschen konnte.
»O, da ist nichts zu fürchten! rief Valdez. Das ist ja nur eine Herde Rinder!
– Valdez hat Recht, bestätigte Parchal. Aus dem Staube tauchen einige tausend Thiere hervor…
– Und verursachen allen diesen Heidenlärm!« setzte der Sergeant Martial hinzu.
Der betäubende Lärm rührte in der That von dem Gebrüll dieser lebenden Fluthwelle her, die über die Flächen der Ilanos daherrollte.
Jean, den Jacques Helloch bestimmt hatte, im Deckhause der »Gallinetta« Schutz zu suchen, trat wieder heraus, um den Durchzug einer Viehherde durch den Orinoco mit anzusehen.
Solche Wanderungen von Rindern sind auf dem Gebiete Venezuelas nichts Seltnes. Die Eigenthümer der Thiere müssen wohl oder übel den Anforderungen der trocknen und der nassen Jahreszeit Rechnung tragen. Wenn es in den höher gelegenen Landstrecken an Gras zu fehlen beginnt, macht es sich nöthig, Weideplätze auf den niedriger gelegenen Ebenen in der Nachbarschaft des Stromes aufzusuchen, wobei mit Vorliebe die Thalgründe gewählt werden, die bei Hochwasser Ueberschwemmungen ausgesetzt sind und darauf einen desto üppigeren Pflanzenwuchs zeigen. Gräser aller Art bieten den Thieren dann auf der ganzen Ausdehnung der Esteros eine ebenso reichliche wie ausgezeichnete Nahrung.
Die Ilaneros müssen also mit ihrem Thierbestand zeitweilig auswandern, und wo sie auf einen Wasserlauf, einen Fluß, Rio oder Bayou treffen, wird er schwimmend überschritten.
Jacques Helloch und seine Gefährten sollten jetzt dem interessanten Schauspiele beiwohnen, ohne von diesem Tausende von Köpfen zählenden Haufen von Wiederkäuern etwas zu fürchten zu haben.
Am Ufer angelangt, blieben die Rinder zunächst stehen. Da verdoppelte sich aber der Lärm, denn die letzten Reihen drängten die ersten widerstandslos weiter, während diese anfänglich zauderten, in den Strom zu springen.
Sie wurden dazu aber schließlich durch den ihnen vorausgehenden Cabestero gezwungen.
Das ist nämlich der Schwimmmeister, erklärte Valdez Er wird sein Pferd mitten in den Strom treiben und die Thiere folgen ihm dann nach.«
In der That stürzte sich der Cabestero mit raschem Sprung über das abfallende Ufer hinunter. Einige Kuhhirten, denen ein Führer vorausging, welcher eine Art wilder Hymnen, ein »Vorwärts!« von seltsamem Rhythmus anstimmte, schwammen voran. Nun stürzte sich auch die Herde in den Strom, auf dessen Fläche man nur noch die Köpfe mit den langen, geschweiften Hörnern sah während die mächtigen Nasenlöcher geräuschvoll schnauften.
Bis zur Mitte des Strombettes vollzog sich der Uebergang ohne Schwierigkeit, trotz der Strömung, und man konnte annehmen, daß er unter der Leitung des Schwimmmeisters und dank der Geschicklichkeit der Führer auch ohne Unfall durchgeführt würde.
Es sollte aber anders kommen.
Plötzlich entstand eine auffallende Bewegung unter den schwimmenden Thieren, als sich noch mehrere Hunderte etwa zwanzig Meter vom Ufer entfernt befanden. Auch laute Ausrufe der Kuhhirten mischten sich unter das Gebrüll der Rinder. Es schien, als ob die ganze Masse von Schrecken gepackt wäre, dessen Ursache nicht erkenntlich war.
»Die Cariben!.. Die Cariben! riefen da die Leute von der »Moriche« und der »Gallinetta«.
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