Der stolze Orinoco
Segel der Falcas zu schwellen. Von jetzt ab sah man auch eine hohe Bergkette die Waldmassen überragen, die sich am rechten Ufer bis zum Horizont ausdehnten. Es war das Duldogebirge, eines der bedeutendsten dieser Gegenden, das den Reisenden mehrere Tage in Sicht blieb.
Nach vierundzwanzig Stunden einer anstrengenden Fahrt, während der der Wind öfters aussetzte und Regenschauer mit kurzem Aufklären des Himmels sich ablösten, machten Valdez und Parchal für die Nacht an der Piedra Pintada Halt.
Dieser »Bemalte Stein« ist nicht mit dem zu verwechseln, den die Reisenden schon bald nach der Abreise von San-Fernando gesehen hatten. Wenn er dieselbe Bezeichnung hat, so rührt das daher, daß die Felsen am linken Ufer ähnliche Spuren von symbolischen Figuren und hieroglyphischen Schriftzeichen aufweisen. In Folge des schon recht niedrigen Wasserstandes waren solche Zeichen auch schon am Fuße des Gesteins sichtbar, und Germain Paterne konnte sie nach Belieben studieren.
Auch Chaffanjon hatte das gethan; er erwähnt es in seinem Reiseberichte, den die Passagiere unaufhörlich zu Rathe zogen. Hierzu muß indeß darauf hingewiesen werden, daß ihr Landsmann diesen Theil des Orinoco in der zweiten Hälfte des November bereist hatte, während Jacques Helloch und seine Gefährten schon in der zweiten Hälfte des October hier waren. Der Zeitunterschied eines Monats kommt aber durch einen sehr deutlichen Witterungsunterschied in einem Lande zum Ausdruck, wo die trockne Jahreszeit sich sozusagen schroff an die Regenzeit anlehnt.
Der Wasserstand des Flusses war also jetzt noch etwas höher, als er es nach einigen Wochen sein mußte, und dieser Umstand sollte die Fahrt der beiden Piroguen begünstigen, denn gerade der Wassermangel wird hier oft zur Ursache der ärgerlichsten Hindernisse.
Am heutigen Abend rastete die kleine Gesellschaft an der Mündung des Cunucunuma, eines der Hauptzuflüsse der rechten Seite. Germain Paterne glaubte nicht für diesen Nebenfluß Partei ergreifen zu sollen, wie er es für den Ventuari gethan hatte, und doch wäre das hier nicht weniger begründet gewesen.
»Was nützte es auch? begnügte er sich zu sagen. Die Herren Felipe und Varinas sind ja nicht zur Stelle und das Gespräch darüber würde einschlafen.«
Unter andern Verhältnissen wäre Jacques Helloch wohl, mehr eingedenk des erhaltenen Auftrages, dem Beispiele des Landsmanns gefolgt, der ihm auf dem obern Orinoco vorhergegangen war. Vielleicht hätte er mit Parchal und einem seiner Leute den Curiare der »Moriche« bestiegen und gleich Chaffanjon den Lauf des Cunucunuma im mariquitarischen Gebiete fünf bis sechs Tage lang näher erforscht; vielleicht wäre er schließlich auch mit jenem Generalcapitan, dem Schlaukopf Aramare, und seiner Familie, die von dem französischen Reisenden aufgesucht und photographiert worden waren, in nähere Beziehung getreten.
Jetzt aber waren die Vorschriften des Ministers des öffentlichen Unterrichts einem neuen Ziele, das Jacques Helloch nach Santa-Juana verlockte, geopfert worden. Es drängte ihn, dahin zu kommen, und er hätte sich bittere Vorwürfe gemacht, wenn er die Lösung der kindlichen Aufgabe Jeanne’s irgendwie verzögert hätte.
Nur zuweilen erinnerte ihn Germain Paterne – nicht um ihm einen Vorwurf zu machen, sondern nur, um das eigene Gewissen etwas zu beruhigen – leichthin an seine, etwas vernachlässigte Aufgabe.
»Ja, ja… es ist schon gut! antwortete dann Jacques Helloch. Was wir auf dem Hinwege versäumten, können wir auf dem Rückwege nachholen.
– Wann denn?
– Nun, Sapperment, wenn wir zurückkommen. Glaubst Du etwa, wir würden niemals zurückkehren?
– Ich?… Ich weiß gar nichts. Wer weiß denn, wohin wir gehen? Wer weiß, was uns da draußen zustößt? Angenommen, der Oberst von Kermor würde überhaupt nicht gefunden…
– Nun, Germain, dann wird es Zeit sein, an die Rückfahrt zu denken.
– Mit Fräulein von Kermor?
– Natürlich!
– Nehmen wir aber an, unsre Nachsuchungen glückten, der Oberst von Kermor würde aufgefunden und seine Tochter wünschte dann – wie wahrscheinlich – bei ihm zu bleiben, könntest Du Dich dann entschließen, umzukehren?
– Umzukehren… wiederholte Jacques Helloch mit einer Betonung, die erkennen ließ, daß ihn solche Fragen in Verlegenheit setzten.
– Allein umzukehren… selbstverständlich mit mir?
– Gewiß, Germain!
– Na, Jacques, auf dieses »gewiß« möcht’ ich nicht so viel bauen.
– Du bist
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