Der stolze Orinoco
voriges Jahr vor der Regenzeit. Das war nach dem großen Unglück… unser Dorf San-Salvador hatten die Quivas ausgeplündert und zerstört. Damals flüchteten mit uns auch noch andre Indianer nach der Mission.
– Und Ihr seid dort von dem Pater Esperante aufgenommen worden?
– Ja… ach, ein so guter Mann! Er wollte uns überhaupt dabehalten. Einige sind auch bei ihm geblieben…
– Und warum gingt Ihr dann fort?
– Mein Vater wollte es so. Wir sind Banivas. Er sehnte sich danach, wieder nach den Gebieten unsers Stromes zu kommen. Er hatte als Ruderer auf dem Strome gedient. Ich verstand auch schon mit einer kleinen Pagaie umzugehen. Bereits mit vier Jahren hab’ ich mit ihm gerudert.«
Was der Knabe sagte, konnte Jacques und seine Gefährten nicht verwundern. Aus dem Bericht des französischen Reisenden kannten sie die Lebensgewohnheiten der Banivas, dieser besten Bootsleute, die schon seit Jahren zum Katholicismus bekehrt sind und zu den begabtesten und achtbarsten Indianerstämmen gehören. In Folge besonderer Verhältnisse – und weil Gomos Mutter von einer Sippe im Osten herstammte – hatte sich sein Vater im Dorfe San-Salvador, oberhalb der Quellen des Stromes, angesiedelt. Als er den Beschluß faßte, Santa-Juana zu verlassen, gehorchte er einem innern Triebe, der ihn bestimmte, nach den Ilanos zwischen San-Fernando und Caïcara zurückzukehren. Hier wartete er nun auf Arbeitsgelegenheit, auf das Eintreffen von Piroguen, worauf er hätte einen Platz finden können, und inzwischen bewohnte er die dürftige Hütte in der Sierra Parima.
Was wäre wohl nach dem von Jorres verübten Todtschlage aus seinem Kinde geworden, wenn die Falcas nicht genöthigt wurden, an der Stelle des Lagers am Pic Maunoir Halt zu machen!
Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten Jeanne von Kermor, während sie den Worten des jungen Indianers lauschte. Dann brachte sie das Gespräch auf Santa-Juana, auf den heutigen Zustand der Mission und vorzüglich auf den Pater Esperante. Gomo gab auf alle Fragen eine klare, bestimmte Antwort. Er beschrieb den spanischen Missionär als einen großen, trotz seiner sechzig Jahre kraftstrotzenden Mann – »ein schöner, schöner Mann«, wiederholte er mehrmals – mit weißem Bart und wie von Feuer leuchtenden Augen, ganz wie ihn Herr Manuel Assomption und der elende Jorres geschildert hatten. In einer Geistesverfassung, die sie jeden Wunsch als verwirklicht betrachten ließ, sah sich Jeanne schon in Santa-Juana angelangt… der Pater Esperante empfing sie mit offenen Armen… gab ihr nach allen Seiten die nöthige Auskunft… er sagte ihr, was aus dem Oberst von Kermor nach dessen letztem Auftauchen geworden wäre – sie wußte endlich, wo er nach seinem Weggange von Santa-Juana Zuflucht gesucht hätte…
Um sechs Uhr abends ließ Jacques Helloch, nach glücklich überwundener zweiter Wegstrecke, Halt machen.
Die Indianer gingen sofort daran, ein Lager für die Nacht vorzubereiten. Der Ort schien dafür günstig. Eine tiefe, in das steile Ufer einschneidende Ausbuchtung bildete bis zum Flußrande ein wirkliches Tonnengewölbe. Ueber den Eingang zu dieser Höhle hingen die Zweige großer Bäume gleich einem Vorhange herab, der auf die Felswand herniederfiel. Im Innern fand sich auch noch eine kleine Nische, worin das junge Mädchen ruhen konnte. Eine dicke Schicht trocknen Grases und dürrer Blätter sollte ihr als Lagerstatt dienen, auf der sie aber so gut wie im Deckhause der »Gallinetta« schlummern konnte.
Natürlich wehrte es Jean ab, daß man sich für ihn solche Mühe machen wollte. Jacques Helloch wollte jedoch auf keine Einwendungen hören und rief die Autorität des Sergeanten Martial an – da mußte der Neffe ja dem Onkel Gehorsam leisten.
Germain Paterne und Valdez richteten die Abendmahlzeit her. Der Rio enthielt Fische in erstaunlicher Menge. Gomo tödtete einige davon auf Indianerart mit Pfeilen, und diese wurden dann bei mäßigem Feuer, das neben dem Felsen entzündet wurde, schmackhaft geröstet. Mit den Conserven und dem Cassavabrod aus den Säcken der Träger, erkannten die Tischgenossen, die nach fünfstündigem Marsche freilich ein reger Appetit unterstützte, gern an, daß sie noch nie eine so köstliche Mahlzeit verzehrt hätten seit…
»Seit der letzten!« erklärte Germain Paterne, dem jedes Essen vortrefflich mundete, wenn es nur den Hunger stillte.
Nachdem es finster geworden war, sachte Jeder für sich ein geeignetes Ruheplätzchen, während Jean
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