Der stolze Orinoco
Präsidenten der venezuolanischen Republik mit diesem Namen bezeichnet worden ist.
Am völlig klaren Himmelsgewölbe herabsinkend, war die Sonne hinter dem wolkenlosen Horizonte verschwunden. Die funkelnden Sternbilder sollten bald vor dem Glanze des aufgehenden Vollmonds erbleichen.
Begünstigt durch die die ganze Nacht andauernde Helligkeit, konnten die Guaharibos eine weite Wegstrecke leicht überwinden. Sie wurden nicht einmal durch die schilfbedeckten Sumpfniederungen aufgehalten, durch die sie sich, ohne die Gefahr, bis zum halben Leibe einzusinken, im Dunkeln gar nicht hätten wagen können.
Vom Uferrande aus gesehen, ließ das Flußbett eine Menge darin liegender Felsblöcke erkennen, die jede Schifffahrt darin, selbst zur Zeit des anhaltendsten Regens, so gut wie unmöglich machen mußten. Auch drei Monate früher wären die »Gallinetta« und die »Moriche« nur mit größter Beschwerde durch diese »Engen« hinausgekommen, die man auf der Karte als die Raudals Guereri, Yuvilla und Salvajuo eingetragen findet. Hier hätte man dazu greifen müssen, die Fahrzeuge streckenweise zu tragen und es ist kaum zu erwarten, daß dieser Theil des obern Orinoco jemals zu einem brauchbaren Verkehrswege umgewandelt werden könne. Hier oben besteht der Strom – in der trocknen Jahreszeit – aus wenigen dürftigen Wasserfäden die sich um die Felsstücke schlängeln und kaum den weißlichen Thon des Ufers befeuchten. Erst vom Cerro Ferdinand von Lesseps an nimmt er allmählich an Tiefe zu, weil sich von da an vom rechten und linken Ufer her mehrere Nebenflüsse in ihn ergießen.
Als es gegen fünf Uhr morgens Tag wurde, hatte der Pater Esperante, kaum zwölf Kilometer von der Mündung des Rio Torrida, eine Biegung des Flusses erreicht.
Binnen drei Stunden sollte er nun mit dem Schiffer Parchal und den zur Bewachung der Falcas zurückgebliebenen Mannschaften Fühlung bekommen.
Im Südwesten und an der andern Seite des Orinoco ragte der Pic Maunoir empor, dessen Gipfel in den ersten Strahlen des Morgenroths erglühte. Auf jener Seite erhob sich auch ein sechs-bis siebenhundert Meter hoher Cerro, der mit dem Pic demselben orographischen System angehörte.
Keinen Augenblick entstand jetzt etwa die Frage, eine Zeit lang, und wäre es nur eine Stunde, auszuruhen. Hatten sich die Quivas längs des Flusses hinabbegeben, um das Lager anzugreifen, so befanden sie sich entweder noch dort, oder hatten sich nach Ausplünderung der Piroguen schon wieder in der Richtung nach der Savanne zurückgezogen. Wer konnte wissen, ob sich Alfaniz dann nicht entschlossen hatte, doch wieder, statt nach Columbia, nach den westlichen Theilen Venezuelas zu gehen und seine Gefangnen dahin mitzuschleppen?
Eine Stunde lang zog der Trupp so dahin, und der Pater Esperante hätte vor Erreichung des Rio Torrida gewiß nicht Halt gemacht, wenn sich nicht gegen sechs Uhr ein unerwarteter Zwischenfall ereignete.
Der junge Indianer lief den Uebrigen etwa fünfzig Schritte voraus – er war ja bekannt mit dem Uferlande, das er mit seinem Vater oft genug besucht hatte. Während er nun bemüht war, immer die Spuren von den vorübergezogenen Quivas im Auge zu behalten, bemerkte man, wie er plötzlich stehen blieb, sich zur Erde niederbeugte und einen lauten Schrei ausstieß…
Da, wo er sich befand, lag am Fuße eines Baumes regungslos ein Mann, der entweder schlief oder todt war.
Auf den Aufschrei Gomos hin wandte der Pater Esperante sein Pferd nach jener Seite, und mit einem kurzen Galopp erreichte er schnell den jungen Indianer.
»Er ist es… er! rief der Knabe schluchzend.
– Er?« wiederholte fragend der Pater Esperante.
Dabei war er schon aus dem Sattel gesprungen und näherte sich dem bewegungslosen Manne.
»Der Sergeant… der Sergeant Martial!« rief er.
Der alte Soldat lag ausgestreckt auf der Erde, die von seinem Blute geröthet war. Er hatte eine Kugel in die Brust bekommen… vielleicht war er schon todt…
»Martial!… Martial!« rief der Pater Esperante ihn an, während schwere Thränen seinen Augen entquollen.
Er richtete den Unglücklichen auf, näherte dessen Kopf dem seinigen und lauschte auf einen Athemzug aus den Lippen des Mannes; dann rief er fast freudig erregt:
»Er lebt… Gott sei Dank, er lebt!«
In der That begann der Sergeant Martial wieder schwach zu athmen; gleichzeitig erhob er auch einen Arm, ließ ihn aber kraftlos wieder sinken. Dann schlug er für eine Secunde die Augen auf und richtete den Blick auf den
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