Der stolze Orinoco
mußte.
Beim Vorüberfahren an der Insel Verija de Mono, die ein fast undurchdringlicher Urwald bedeckt, krachten an Bord der »Maripare« plötzlich mehrere Schüsse. Ein halbes Dutzend Wildenten fiel auf das Wasser herunter. Herr Miguel und seine Freunde waren es gewesen, die sich hier als treffliche Schützen erwiesen hatten.
Bald darauf näherte sich der Curiare der andern Pirogue der »Gallinetta«.
»Zur Abwechslung im gewohnten Speisezettel!« rief Herr Miguel, der ein Paar der schmackhaften Vögel anbot.
Jean von Kermor dankte Herrn Miguel verbindlich, während der Sergeant Martial nur eine Art Dank brummte.
Nachdem er den jungen Mann gefragt, wie er die beiden ersten Reisetage verlebt hätte, und eine befriedigende Antwort erhalten hatte, wünschte Herr Miguel dem Neffen wie dem Onkel noch eine gute Nacht und fuhr in dem Curiare wieder davon.
Mit Anbruch der Nacht wurden die beiden Falcas an der Insel Pajaral vertäut, da das rechte Ufer des Stromes vielfach mit erratischen Blöcken bedeckt war, auf denen Chaffanjon zahlreiche Inschriften entdeckt hatte, die von den Strom bereisenden Händlern mit dem Messer eingeritzt waren.
Das Abendessen wurde mit gutem Appetit verzehrt. Die Enten – zubereitet von dem Sergeanten Martial, der sich wie der Cantineninhaber eines Regiments auf die Kochkunst verstand – lieferten ein saftiges, herrlich duftendes Fleisch, das denen der europäischen Arten weit überlegen ist. Um neun Uhr ging man zu Bett, oder der junge Mann streckte sich wenigstens auf der Estera in dem ihm als Schlafzimmer dienenden Raume des Deckhauses aus, wo ihn der Onkel, seiner Gewohnheit getreu, mit dem Muskitonetze sorgsam umhüllte.
Das erwies sich als eine sehr nothwendige Vorsicht. Wie viele Muskitos und was für Muskitos schwirrten hier umher! Wenn man dem Sergeanten Martial glauben darf, hatte Chaffanjon gewiß nicht übertrieben, als er behauptete daß diese »vielleicht die größte Schwierigkeit bei einer Bereisung des Orinoco bilden«. Myriaden giftiger Stacheln verletzen den Menschen hier ohne Unterlaß, und jeder Stich erzeugt eine entzündete Stelle, die noch nach vierzehn Tagen Schmerzen verursacht, wenn sie nicht gar ein heftiges Fieber auslöst.
Wie aufmerksam breitete der Onkel aber auch den schützenden Schleier über die Lagerstätte des Neffen! Und dazu qualmte seine Pfeife wie ein Schornstein, um die schrecklichen Insecten für den Augenblick zu vertreiben. Suchten aber einzelne durch schlecht geschlossene Falten des Netzes zu schlüpfen, so tödtete er sie durch einen Schlag mit der Hand.
»Mein lieber Martial, Du wirst Dir noch die Hand verstauchen! So viele Mühe brauchst Du Dir nicht zu machen; mich hindert schon nichts mehr am Schlafen.
– Nein, antwortete der alte Soldat, ich will nicht, daß eine einzige der abscheulichen Bestien Dir um die Ohren summt!«
Und er setzte sein Morden fort, so lange sich noch ein verdächtiges Schwirren vernehmen ließ. Erst als er sah, daß Jean wirklich eingeschlummert war, suchte auch er sein Lager auf. Er selbst machte sich ja nichts aus solchen Angriffen. Obwohl er sich aber für zu »lederhart« hielt, um davon zu leiden, wurde er doch wie jeder Andre tüchtig zerstochen und kratzte sich, daß die ganze Pirogue erzitterte.
Am nächsten Morgen wurden die Haltetaue gelöst, und wieder ging es unter Segel weiter. Der Wind war noch günstig, setzte aber dann und wann aus. Große Haufenwolken hingen niedrig am Himmel. Der Regen stürzte in Strömen herab, und Alle mußten im Deckhause bleiben.
Nun galt es noch obendrein, einige Stromschnellen zu überwinden, die eine Folge der Einengung des Bettes durch mehrere kleine Inseln waren. Schließlich mußte sogar ganz nahe am linken Ufer, wo eine schwächere Strömung stand, hingefahren werden.
Das Uferland hier hatte ein sumpfiges Aussehen mit einem Gewirr von Canälen und Tümpeln. Den gleichen Charakter bewahrt es von der Mündung des Apurito an bis zu der des Arauca auf eine Strecke von hundert Kilometern. Hier ist die Gegend, wo die zahlreichsten Wildenten vorkommen. Wenn sie über die Ebenen hinflatterten, sah es aus, als wäre der Himmel mit schwarzen Flecken übersäet.
»Wenn es deren auch so viele wie Muskitos giebt, so sind sie doch weniger lästig meinte der Sergeant Martial, ganz abgesehen davon, daß man sie essen kann!«
Die Richtigkeit dieses Ausspruchs dürfte wohl niemand bezweifeln.
Sie wurde auch durch ein Vorkommniß erhärtet, das Elisée Reclus nach Carl
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